ARBEIT & VERGNÜGEN, GESELLSCHAFT

WAS HABEN SIE ZU IHRER VERTEIDIGUNG ZU SAGEN?

Wie können Sie es eigentlich mit Ihrem Gewissen vereinbaren, einen Schuldigen zu verteidigen?

Martin Reitmaier und Peter Möckesch sind Rechtsanwälte und Fach-anwälte für Strafrecht. Zusammen mit weiteren Kollegen betreiben sie die Kanzlei REITMAIER Rechtsanwälte am Oberen Markt im ZARA-Haus. Tagtäglich verteidigen sie Menschen vor den Strafgerichten. Die beiden Anwälte haben uns einen exklusiven Einblick in ihre Tätigkeit gegeben.

Wie ist es, einen Menschen zu verteidigen, von dem man weiß, dass er schuldig ist?
Diese Frage kennen wir natürlich nur zu gut. Oft werden wir in diesem Zusammenhang auch gefragt, wie man beispielsweise einen Kinderschänder verteidigen kann. Wir nennen das die „Cocktail-Frage“, weil sie uns auf so gut wie allen gesellschaftlichen Anlässen gestellt wird, sobald wir erwähnen, dass wir Strafverteidiger sind.

Zunächst ist hier festzuhalten, dass dem Ganzen häufig ein Missverständnis zugrunde liegt: Wenn wir das Mandat am Anfang eines Ermittlungsverfahrens übernehmen, wissen wir oft nicht, ob es sich bei dem Mandanten wirklich um einen „Kinderschänder“ handelt. Meist steht am Anfang des Ermittlungsverfahrens nur ein mehr oder weniger vager Anfangsverdacht. Man muss also differenzieren.

Auf der Strafverteidigertagung, die kürzlich in Dresden stattfand, sprach man sogar von dem „Allgemeinen Lebensrisiko des Tatverdachtes“. Gemeint ist damit, dass man als normaler Bürger oft schneller als man denkt einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt sein kann. In dieser Situation ist der Beschuldigte also erstmal froh darüber, dass für ihn die „Unschuldsvermutung“ gilt und – im besten Fall – ein versierter Strafverteidiger für die Wahrung seiner elementarsten Rechte sorgt. Diese Rechte wurden von mutigen Menschen in sehr viel schwierigeren Zeiten, teilweise unter Einsatz ihres Lebens, erkämpft. Um es ganz klar zu sagen: Uns stört die zunehmende öffentliche Vorverurteilung, die mit der bloßen Beschuldigung einhergeht. Die Zeiten haben sich verändert. Heutzutage erscheint die Zeitung nicht nur einmal am Tag. Die virale Verbreitung von Informationen, sowohl falscher als auch richtiger, vollzieht sich im Netz binnen Sekunden – und damit nahezu in Echtzeit. Umso wichtiger ist, Vorverurteilungen vorzubeugen, was unseres Erachtens nur dann möglich ist, wenn eine verlässliche Informa-tionsbasis besteht.

Ihr glaubt gar nicht, welche Konsequenzen oftmals mit einer einfachen Beschuldigung einhergehen: Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, Unternehmen werden in der Kreditwürdigkeit herabgesetzt, Kinder von Betroffenen werden denunziert – ganz zu schweigen von den psychischen Belastungen, die solche Vorverurteilungen mit sich bringen können. Es tut in diesen Situationen regelrecht weh zu sehen, wie gering eine der bedeutendsten Errungenschaften unserer Gesellschaft mitunter geschätzt wird – nämlich, dass jeder so lange als unschuldig gilt, bis die Schuld bewiesen ist.

Und genau hierfür ist ein faires Verfahren essenziell. Um zu verstehen, was wir meinen, hilft oftmals ein einfacher Perspektivenwechsel. Nur so wird einem die Bedeutung der Bürgerrechte erst richtig bewusst.

Wir jedenfalls schätzen uns sehr glücklich, in einem Rechtsstaat leben und arbeiten zu dürfen, der vergleichsweise hervorragend funktioniert. Dementsprechend wissen wir im besten Fall erst nach dem Ende eines rechtsstaatlichen Verfahrens, ob es sich wirklich um einen „Kinderschänder“ handelt oder nicht.

Aber was, wenn der Mandant Euch im Vertrauen sagt, dass er es war?
Wir könnten Euch nun natürlich die Standardantworten vieler Strafverteidiger geben: Alle Angeklagten haben ein faires Verfahren verdient und die Sicherstellung dessen ist nicht zuletzt Aufgabe des Strafverteidigers. Eine weitere Antwort ist, dass sich der Zivilisationsgrad einer Gesellschaft daran bemisst, wie mit den schwächsten und gesinnungsfeindlichsten Individuen der Gesellschaft umgegangen wird.

In der Praxis und in Bezug auf das eigene Gewissen hilft dies jedoch oftmals nur bedingt weiter. Delikte wie der sexuelle Missbrauch oder die Misshandlung von Kindern stehen in unserer täglichen Arbeit nicht an der Tagesordnung, da wir sehr häufig mit Delikten aus dem Wirtschaftsleben zu tun haben. Gleichwohl sieht sich jeder Strafverteidiger früher oder später mit solchen Fällen konfrontiert.

Daher lautet unsere ehrliche Antwort, dass es auf die Art und Weise der Verteidigung ankommt. Dann kommt man auch mit seinem Gewissen ins Reine. Hiermit meinen wir, dass es darum geht, den Sachverhalt und die Beweislage genauestens zu besprechen. Es kann dann unter Umständen der richtige Rat sein, ein frühes Geständnis abzulegen, um beispielsweise Opferzeugen eine Aussage vor Gericht zu ersparen. Kommt der Mandant zu der Einsicht, einen Fehler gemacht zu haben, kann er dies durch sein Geständnis dokumentieren und so eine zusätzliche Strafmilderung erreichen.

Verlangt der Angeklagte jedoch, dass die Verteidigung Schritte unternimmt, die entweder nicht mit dem Gesetz oder einer professionellen Verteidigung vereinbar sind, hat der Verteidiger noch immer die Möglichkeit, das Mandat niederzulegen.

Okay, verstanden. Doch kann man es mit seinem Gewissen vereinbaren, wenn der Angeklagte aufgrund einer guten Verteidigung wieder auf freien Fuß kommt?
Ganz klar: Ja! Ein Beispiel: Verteidigt man einen Steuerhinterzieher mit einem guten Ergebnis, wird diese Frage meist nicht gestellt. Sie taucht meistens erst dann auf, wenn es um Verbrechen gegen Leib oder Leben geht. Es ist eben Aufgabe der Staatsanwaltschaft, Beweise beizubringen, um eine Verurteilung zu erreichen. Gelingt dies nicht, kommt es zum Freispruch.

Jede Leserin und jeder Leser sollte sich an dieser Stelle eher die Frage stellen, ob es ihr oder ihm lieber wäre, wenn der Staat die Möglichkeit hätte, nur aufgrund vager Verdachtsmomente Haft anzuordnen und Menschen zu verurteilen. Aus unserer Sicht also eine rhetorische Frage.

Vorletzte Frage: Wer oder was ist eigentlich ein Pflichtverteidiger und wer hat darauf Anspruch? Wer in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anrecht auf einen Pflichtverteidiger. Grundsätzlich kann jeder Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger durch das Gericht bestellt werden. Es kommt nicht auf die wirtschaftliche Situation des Beschuldigten an, sondern primär auf den Vorwurf, der ihm gemacht wird. Dadurch möchte der Staat sicherstellen, dass tiefgreifende Eingriffe des Staates in die Freiheit des Menschen einer unabhängigen Kontrolle unterliegen.

Letzte Frage: Passieren in Würzburg überhaupt richtige Verbrechen? Eigentlich wirkt doch alles so friedlich und beschaulich …
Der Eindruck täuscht: Durch die Lage Würzburgs an der A3, einer stark frequentierten Nord-Süd-Verbindung, werden viele Drogenkuriere aufgegriffen. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die meisten Autos (baulich bedingt) spätestens in Würzburg tanken müssen, wenn sie im Nordwesten starten, beispielsweise in Holland. Aber auch sonst ist in Würzburg alles zu finden, was das Strafgesetzbuch und die Nebengesetze zu bieten haben.
Text: Reitmaier Rechtsanwälte; Foto: Pascal Höfig