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Angst

Nachdem ein junger Mann in Würzburg einen Anschlag in einem Zug verübt hat und auch in anderen bayrischen Städten in jüngster Zeit ähnliche Taten geschehen sind, haben wir Lorenz Wohanka gefragt, wie es um die Ängste steht, die viele Menschen jetzt haben. Der Diplom-Psychologe interessiert sich für das, was seine Lieben Nachbarn bewegt oder umtreibt und ist Experte für das Verhalten und Erleben von Menschen. 

 

Nach dem Anschlag in Würzburg haben die Menschen mehr Angst vor Bahnhöfen, Zugfahrten, großen Menschenmengen und öffentlichen Räumen.

Woher Kommt die Angst der Menschen, Opfer eines solchen Anschlags zu Werden, obwohl die Wahrscheinlichkeit so gering ist, bzw. muss man denn überhaupt Angst haben?

LORENZ WOHANKA: Woher kommt Angst? Als natürliche Reaktion des biologischen Systems „Körper“ hilft sie uns, in unserem Alltag Gefahren zu erkennen, einzustufen, zu verarbeiten und letztlich also mit ihnen umgehen zu können. Angst ist eine sehr sinnvolle Reaktion, ablaufend in entwicklungsgeschichtlich alten Hirnregionen. Wir verstehen Angst als eigentlich adaptiven Mechanismus auf sehr konkrete Gefahren hin: Sie hilft uns, gefährliche Situationen erkennen und sinnvollerweise auch vermeiden zu können oder höchst wachsam in ihnen zu sein. Es gibt nun für uns Menschen ein grundlegendes Problem: Wir können mit statistischen Wahrscheinlichkeiten nicht vernünftig umgehen und sie zur Reduktion von Angst verwenden. Denken Sie nur daran, wie Menschen mit Beipackzetteln von Arzneimitteln umgehen. Obwohl bestimmte Nebenwirkungen nur in einem von über 10.000 oder gar 100.000 Fällen auftreten, nehmen Menschen unter Verweis auf diese Wahrscheinlichkeit ein Medikament nicht, das ihnen sicher helfen würde. Die Frage, ob man Angst haben muss, stellt sich insofern nicht, als dass Menschen dieses Gefühl nun einmal erleben. Die Frage ist eher: Wie gehe ich mit dieser Angst um? Es gelingt den meisten, diese Angst wieder in den Hintergrund treten zu lassen und ihr eigenes Leben aktiv zu gestalten.

Können sie etwas dazu sagen, wie Terrorgruppierungen wie der IS mit den Ängsten der Menschen spielen?

Ich bin sicher, spielen drückt es nicht angemessen aus: Jede terroristische Organisation macht sich den Mechanismus Angst gezielt zu Nutze. Durch Unterdrückung und Einschüchterung entstehen Strukturen, die Menschen dazu bringen, sich unterzuordnen und sie ihrer individuellen und kollektiven Freiheitsrechte berauben. Gerade weil durch die ungeordnete, nicht vorhersagbare Struktur von Attentaten eine undurchsichtige und nicht konkrete Bedrohungssituation entsteht, lähmen solche Szenarien Gesellschaften. Da wir hier in Europa und Deutschland in offenen Gesellschaften leben, erscheint es leicht, uns zu verunsichern. So entstehen dann diffus wirkende Begriffe wie „Gefährdungslage“, die sich wie ein lähmender Schleier über eine Gesellschaft senken.

Schüren Anschläge in Verhältnismässig kleinen Städten wie Würzburg und Ansbach die Ängste der Menschen noch mehr, weil sie das Gefühl bekommen, es könnte überall passieren und nicht nur in Grossstädten wie Berlin, Hamburg oder Paris?

Es ist für Menschen im Erleben – unabhängig davon, an welchem Ort sie leben – in gleichem Maß bedrohlich, Anschlägen ausgesetzt zu sein. Für ihren eigenen Umgang mit Angst haben bisher offenbar viele angenommen, sie stünden automatisch weniger im Fokus, weil sie in kleineren Städten, in der sogenannten Provinz wohnen. Nach einer Tat wie der in Würzburg rückt die ganz reguläre Allgemeingefährdung einfach deutlich in das eigene Bewusstsein und kann so tatsächlich die eigene Angst steigern. Wenn Sie eine Gesellschaft wie die israelische betrachten, so muss diese leider seit Jahrzehnten mit einer ständig anwesenden Gefahr durch Selbstmordattentäter, Granatangriffe und andere Anschläge auf Leib und Leben ihrer Mitglieder umgehen. Die Antwort ist jedoch nicht immer noch mehr Angst, obwohl Angst wohl ein ständiger Begleiter ist: Die Menschen können lernen, mit Angst zu leben, sich jedoch nicht von ihr dominieren zu lassen. Das erscheint die einzig sinnvolle Antwort auf den Versuch von Terroristen, Ängste zu schüren.

Angenommen, man käme in die Situation, Zeuge oder sogar selbst Opfer eines solchen Anschlags zu werden: Was löst das in einem menschen aus? In dem moment muss sich ja eine unglaubliche Angst aufbauen – oder über wiegt da der Schock?

In einem solchen Moment erleiden Menschen, andere Lebewesen übrigens auch, ein massives Trauma, das sich in aller Regel mit allen Folgen und Spätfolgen im Körper manifestiert. Im initialen Moment funktionieren Menschen aufgrund einer überschießenden Stressreaktion des Körpers, wobei es da eben unterschiedliche Reaktionen gibt: Neben der Kampf- oder Fluchtreaktion gibt es auch eine Schockstarre, bei der man erstarrt und im Grunde handlungsunfähig stehenbleibt. Bei diesen Reaktionsmöglichkeiten spielt auch die emotionale Reaktion Angst eine Rolle, sie brennt sich förmlich in das Angstgedächtnis ein und speichert alle möglichen Reize als potenzielle Anzeichen für diese entstandene Gefahrensituation ab.

So wie der is zu Anschlägen animiert – Kann man da von einer „neuen art der Kriegsführung“ sprechen?

Das Vorgehen selbst ist nicht neu. Ich hatte schon die israelische Gesellschaft angesprochen, die mit dieser Art Kriegsführung zu kämpfen hat. Neu ist, dass in einer globalisierten Welt ganz leicht Terror in alle Länder exportiert werden kann und durch massenhafte kommunikative Interaktion viel mehr mögliche Attentäter organisiert werden können. Insofern handelt es sich also um eine neue Qualität terroristischen Vorgehens.

Der Attentäter von Würzburg handelte motiviert durch den IS – Kann man etwas dazu sagen, was bei dem Attentäter psychologisch ausgelöst wird, um so eine Tat zu Begehen?

Das ist eine schwierige Frage. Aus Berichten von Familien radikalisierter Jugendlicher wissen wir, dass viele junge Menschen scheinbar erst einmal Sinn und Halt in den Szenen finden, die radikalisieren. Sie erleben klare, stark abgrenzende Wertesysteme, die eine Orientierung im Sinne von Gut und Böse geben. Ob es sich hierbei um rechts-, links-, religiöse oder in anderer Weise weltanschaulich radikale Gruppierungen handelt, spielt keine Rolle. Die konkrete Situation des Attentäters von Würzburg ist jedoch für mich nicht seriös bewertbar, weil mir viel zu wenige Informationen vorliegen.

In Würzburg und Ansbach war die Rede von Terroranschlägen, in München von einem Amoklauf – Wie unterscheiden sich diese psychologisch gesehen?

In der psychologischen Dimension liegt ein Unterschied vor allem im Begründungshintergrund der Tat: Der Amokläufer ist psychopathologisch als Einzeltäter mit zufällig ausgewählten Opfern charakterisiert, bei ihm liegen gegebenenfalls Symptome psychischer Störungen vor und er hat ein individuell begründetes Tatmotiv. Auch terroristische Attentate lassen sich unter dem Stichwort Amoktat erfassen. Dabei liegt dann jedoch klar ersichtlich ein religiöses oder politisches Tatmotiv vor, psychische Störungen sind selten. Attentäter werden häufi g durch Organisationen ausgewählt, systematisch indoktriniert und auf die Anschläge vorbereitet. Auch der Attentäter von Würzburg stand in Kontakt zu Personen im Hintergrund, von denen er laut Bayerisch Innenministerium offensichtlich Anweisungen erhielt.

Text: Lorenz Wohanka