EDITORIAL, NACHBARN

Das Dalle – Mehr als sehen und gesehen werden

Das Schwimmbad: heiß, nass, viel nackte Haut und hemmungsloses Beglotzen. Nicht umsonst sagt man vom Dalle, wie es von den Würzburgern liebevoll genannt wird, dass es dort nur um Sehen und Gesehen werden geht. Jeder präsentiert seinen Körper, alle glotzen – und das flirten kommt auch nicht zu kurz. Aber ist es denn wirklich so? Und war das schon immer so? 

Um das herauszufinden, ist eine genaue Analyse der verschiedenen Badegäste unverzichtbar. Denn wer glaubt, alle Badegäste liegen quer im Dalle verteilt ohne jedes System, der hat sich getäuscht. Nahezu jeder Gast ist Mitglied einer festen Gruppe. Wer nicht drin ist, gehört auch nicht dazu.

DER TURMFALKE

Fast schon als Rudel kann man da beispielsweise die Turmspringer sehen. Junge, trainierte Kerle, die lebensmüde genug sind, vom berüchtigten 10-Meter-Brett zu springen. Und das auch nicht irgendwie, sondern in akrobatischen Figuren. Sie sind die Könige des Dalle. Jeder sieht sie, jeder kennt sie und keiner traut sich näher an sie ran. Sie sind immer unter sich – und wenn der Turm gerade mal nicht offen ist, tummeln sie sich auf der Tribüne rings um das Sprungbecken. „Wow, wie machen die das?“ Und: „Kann ich auch so einer sein?“ denkt sich wohl so mancher Mann. Von den Frauen ganz zu schweigen. Dass die Turmspringer nicht nur bei den männlichen Badegästen hoch angesehen sind, versteht sich von selbst.

Oder ist das alles doch ein bisschen übertrieben? Ich hab mich ins Territorium der Springer vorgewagt und mal nachgefragt:

Hallo SERVERO, Wie alt warst du, als du das erste Mal vom 10er gesprungen bist – und was war der Anlass dafür? Ich glaub ich war acht. Anlass war, dass ein Kumpel auch vom 10er gesprungen ist. Da dachte ich mir, das muss ich auch können – und bin dann spontan gesprungen.

Wie oft trifft man Dich pro Woche hier im Hochsommer? Eigentlich jeden Tag, außer wenn ich abends Training oder lang Schule habe. Aber wenn’s draußen warm ist, springen wir so gut wie jeden Tag.

Was ist dein bester Trick? Die Katze vom 10er.

Welche Badehose passt da am besten? Calvin Klein in rot (lacht).

Und wie viele Mädels sind schon drauf angesprungen? Ziemlich viele (lacht).

Was sagt die Mutti dazu? Sie hat Angst, dass mir was Schlimmes passieren könnte. Aber da sie ja ohnehin nie im Dalle ist, kann sie auch nichts dagegen machen.

Was kann denn passieren, wenn´s ganz blöd läuft? Bei einer Katze kann eigentlich so gut wie nix passieren – außer dass man auf den Kopf fliegt. Und beim Auerbacher bleibt man im schlimmsten Fall irgendwo am Brett hängen. Aber wenn man sich konzentriert und richtig abspringt, klappt das schon.

Was ist der schwierigste Sprung, den du beherrschen willst? Ein doppelter Auerbacher. Oder crazy cat. Das ist, wenn man sich bei einer Katze einmal im Kreis dreht.

Wie kann man sowas üben? Entweder du machst es auf dem Trampolin – oder du versuchst es erstmal vom 1er, dann vom 3er und arbeitest dich bis zum 10er hoch.

Wie lange bracht man dann, bis man das schafft? Wenn du viel Mut hast und gut trainiert bist, schaffst du´s eigentlich ziemlich schnell. Man sollte halt kein Weichei sein, das ewig auf dem Turm rumschmort, anstatt mal runterzuspringen.

Da sind wir schon beim Stichwort: Warum brauchen viele immer so lange, bis sie springen?  Die können sich einfach nicht überwinden und haben Angst, sich zu blamieren oder sich beim Auftreffen aufs Wasser zu verletzen.

Und warum steht ihr dann manchmal so lange oben? Wir warten nur, bis möglichst viele zu uns hochgucken (lacht).

Und Jetzt die wichtigste Frage: Wer ist der Wer ist denn der beste Turmspringer in Würzburg? Also in unserem Freundeskreis gibt es eigentlich niemanden, der so richtig was kann. Zwar kriegen einige einen Auerbacher hin, aber die Katze können nur mein Kumpel und ich. 😉

DIE DALLE-DAUERBRENNER

Rund ums Schwimmerbecken lebt eine ganz andere Gruppe von Badgästen: die sogenannten Dalle-Dauerbrenner. Knackig braune Damen und Herren im besten Alter brutzeln in der Sonne vor sich hin. Statt Sonnencreme gibt´s Öl – und die Sonnenbrillen scheinen mit dem Gesicht verwachsen zu sein, ebenso wie sie selbst mit dem Dalle. Denn die Dalle-Dauerbrenner sieht man hier einfach immer. Und das seit gefühlten 100 Jahren. Außer in der Sonne zu schmoren und gelegentlich mal ein Buch zu lesen, machen die Dauerbrenner eigentlich nichts. Wissen die überhaupt, dass es hier auch Wasser zum Abkühlen gibt?  Um das herauszufinden, habe ich mich in die pralle Sonne gewagt und Sue und Irmi befragt …

Seit wie vielen Jahren gehen Sie schon ins Dalle? Irmi: Mhhm … wie alt war ich denn da? Auf alle Fälle seit meiner Kindheit, also seit gut 60 Jahren (lacht).. (Anm. d. Red. Das Dallenbergbad gibt es seit 1956).

Sue:  Ich bin hier erst seit 1965, da bin ich nämlich geboren (lacht).

Und warum ausgerechnet dieses Bad? Sue: Ein anderes gab’s einfach nicht.

Irmi: Stimmt – da hab ich noch in Grombühl gewohnt – und alle gingen ins Dalle. Sonst gab es nur den Main. Ich kann mich noch gut erinnern, als hier die Bäume ganz klein waren – da hat man überall nach Schatten gesucht.

Sue: Deswegen saßen sie dann alle hier oben beim Schwimmerbecken in der Reihe. Und wehe, man war nicht so schlank. Da haben die geglotzt. Wir waren hier sogar schon Oben-ohne unterwegs.

Gehen Sie auch mal schwimmen oder sonnen Sie sich nur? Irmi: Klar schwimm ich auch hier, 1.000 Meter jedes Mal. Als Kind bin ich natürlich weniger geschwommen – aber wir waren immer mit den Nachbarskindern da und hatten einen riesen Spaß.

Das Motto des Dalle ist ja bekanntlich „Sehen und gesehen werden“. war das schon immer so? Irmi: Na klar, das war noch nie anders. Als ich so 16/17 war, gehörten wir zu den schönen Mädels. Wir saßen hier in einer Reihe und ließen uns von den Männern bestaunen.

Sue:Damals gab’s auch nur schöne Männer (lacht).

Was hat sich seit damals geändert? Irmi: Ich vermisse vor allem die Bude, die es früher am Kiosk gab, in der Würstchen gegrillt wurden. Und unten, wo jetzt der Kletterturm steht, gab’s so eine Art Karussell, auf dem man stehen konnte. Das war echt perfekt zur Kontaktaufnahme …

Sue: Jaja – früher wurde noch im Bad geflirtet, heute läuft das eher im Internet ab. Schade eigentlich.

Und was ist gleich geblieben? Sue: Vor allem die Leute. Alle, die damals schon ins Dalle gegangen sind, findet man hier auch heute noch.

Irmi: Stimmt – ich kenne hier viele auch vom Sehen, die mit uns alt geworden sind.

Und jetzt noch ein Tipp für die Leser? Sonnencreme oder Sonnenöl für die perfekte Bräune? Irmi: Oh je – früher haben wir Tiroler Nussöl benutzt. Heute verwenden wir natürlich Sonnencreme – und das auch mit viel höherem Lichtschutzfaktor. Damals galten ja 6 oder 7 schon als hoch, heute geht unter 30 gar nichts mehr.

Sue: Also ich nehme immer Weleda Zitronenöl ohne alles.

DIE SANDIGEN SUNNY-BOYS

Wer am liebsten auf der Wiese liegt und auch was fürs Auge haben will, sollte auf alle Fälle sein Lager in der Nähe des Volleyballfeldes aufschlagen. Denn hier tummeln sich die durchtrainierten Fitness-Götter. Klar, wer so einen Körper hat, muss ihn auch zeigen. Und wo ginge das besser als auf dem Spielfeld? Ein Haufen Kerle, ein Ball, viel Sonne und Schweiß lassen so manches Frauenherz höherschlagen. Doch ähnlich wie die Turmspringer sind auch die Volleyballer so gut wie unerreichbar, vor allem, wenn sie auf heißem Sand um den Sieg kämpfen. Da hat man als blutiger Anfänger natürlich kaum eine Chance, mitzuspielen – vom Ansprechen ganz zu schweigen. Wahrscheinlich sind die alle sowieso schrecklich oberflächlich, oder …?

WIR FRAGEN TIMO UND BEN: Wie oft trifft man Euch hier im Hochsommer an Timo: So zwei bis dreimal pro Woche.

Spielt ihr in einer Mannschaft Volleyball ? Ben: Nein, nur freizeitmäßig.

Wie steht ihr so zu den Springern? Timo: Da gibt’s eindeutig zwei Lager. Die sollten hier lieber nicht rüberkommen (lacht). Ne, Scherz – wenn jemand ganz lieb fragt, ob er mitspielen kann, ist er natürlich herzlich eingeladen.

Gibt es also ein festes Team, das jedes Mal kommt? Timo: Nein – eigentlich kann jeder mitmachen, der ein bisschen was draufhat.

Wie oft in der Woche geht ihr so ins Fitnessstudio? Timo: Ich geh so circa fünf Mal pro Woche.

Und wie viele blaue Flecken nehmt ihr durchschnittlich so mit nach Hause? Timo: Kommt ganz darauf an, mit wem man spielt (lacht)

Ben: Kommt immer drauf an, wie gut man spielt (lacht).
Aber mehr als ein aufgeschürftes Knie war bis jetzt nicht drin.

Stimmt Eurer Meinung nach das Dalle-Motto „Sehen und gesehen werden“ noch? Timo: Naja, es ist halt ein Schwimmbad. Was mich betrifft, seh ich das nicht so. Ich bin zum Spaß da; oder besser: zum Spiel und Spaß.

Also werdet ihr nie von Mädels angesprochen? Timo: Ne, selten. Selten bis gar nicht. Ist ja auch niemand da heute. Du hättest nicht heute kommen sollen (lacht).

DER BOSS DER BECKEN

Im Dalle gibt’s also eine Menge unterschiedlicher Charaktere. Wie ist es da zu schaffen, dass es nicht zu Streits kommt? Eine Eskalation zwischen Springern und Volleyballern wäre zwar sicher filmreif, aber vielleicht doch nicht so wünschenswert. Wer versorgt dann die Verletzten? Und wer passt auf, dass im Wasser alles mit rechten Dingen zugeht? Natürlich der Bade-, äh, der Schwimmmeister. Der, der immer alle anraunzt und alles verbietet, was Spaß macht. Oder verbirgt sich hinter dem Mann mit der roten Cap vielleicht doch eher ein ziemlich cooler Typ?

Seit wie vielen Jahren sind Sie Bademeister im Dallenbergbad? Ich war noch nie Bademeister im Dalle.

Seit wie vielen Jahren sind Sie Schwimmmeister? Jetzt hast du aber gut gespickt, ne? Ich will nur dass du´s richtig machst. Mir ist das eigentlich völlig wurscht, wenn mich die Leute Bademeister nennen – aber Du sollst ja nicht ausgelacht werden. Ich bin seit 26 Jahren Schwimmmeister hier – und ernähre damit meine Familie und mich.

Waren Sie früher hier selbst auch Badegast? Ja klar, ich bin Würzburger, hier groß geworden – und gehe praktisch seit meiner Geburt ins Dalle.

Und wie sind Sie dann dazu gekommen, Schwimmmeister zu werden? Mir hat einfach schon immer die Örtlichkeit gefallen – und mit Menschen hab ich auch gern zu tun. Als Kind dachte ich mir: Der Bademeister, der macht ja nix. Gut, das stimmt natürlich nicht ganz – aber mir macht’s einfach riesigen Spaß.

Gab es schon mal einen Ernstfall, bei dem sie jemanden retten mussten? Klar, das passiert schon hin und wieder mal, aber dafür sind wir ja da. Für Lacher sorgen aber immer wieder die Papis in meinem Alter – also so plus/minus 50. Die zeigen gern mal ihren Jungs, was sie in Sachen Arschbombe oder Katze noch so draufhaben. Meistens klappt das aber nicht – und sie landen mit einem riesen Rückenbatscher auf dem Wasser. Das sind dann natürlich keine bösen Verletzungen, aber ziehen tut’s schon gewaltig. We call it a Klassiker (lacht).

Es gibt ja die Legende, dass Mal jemand über den Beckenrand hinausgesprungen ist. Was ist an der Geschichte dran? Also in meiner Zeit hier ist das noch nie vorgekommen – und laut Aussage meiner beruflichen Vorfahren auch nicht in früheren Jahren. Es kann sich also nur um eine Legende handeln.

Was ist so die verrückteste Geschichte, die Ihnen je untergekommen ist? Da kommt mir sofort wieder die Baum-Anekdote in den Sinn. Ein Student hatte beim Frisbee-Spielen die Scheibe in der Baumkrone versenkt. Er kletterte dann auf den Baum, um sie zu holen – traute sich aber nicht mehr runter. Seine Kommilitonen fragten mich dann, um eine Leiter. Die hab ich natürlich auch, nur muss mir das irgendwie entfallen sein. Den Studenten war’s wohl peinlich, nochmal nachzufragen – und so saß der Vogel gute zwei Stunden auf dem Baum. Aber er war mir nicht böse – wir haben alle zusammen gelacht, ein Radler getrunken – und gut war’s.

Stört es Sie eigentlich manchmal, dass Sie bei schönem Wetter zwar im Schwimmbad sind, aber arbeiten müssen? Nein. Erstmal krieg ich Geld dafür, es ist mein Beruf. Andere zahlen Eintritt, um hier sein zu dürfen. Ich genieße jeden Tag hier – habe im Dalle jede Menge Freunde und viele nette Badegäste. Was kann es Schöneres geben?

Also kennt man dann die Leute hier schon und es gibt Stammgäste? Na klar. Ganz gleich, ob Stammgäste oder Gelegenheitsbesucher – die meisten hier sind meine Freunde. Ich kenne sie entweder schon von Jugend an oder weil sie seit Jahren hierher kommen. Man umarmt sich, wenn die Saison beginnt, man ist traurig, wenn sie endet. Ein halbes Jahr ist echt lang …

Was sagen Sie dazu, dass es im Dalle vor allem ums ‚Sehen und gesehen werden“ geht? Das stimmt schon noch. Ich will gesehen werden, genauso, wie die gesehen werden wollen, die hier sind. Ist ja auch blöd, wenn einer an mir vorbeiläuft und wegschaut. Nein, Spaß beiseite: Früher war das echt ausgeprägter. Heute geht’s hier viel entspannter zu.

Und jetzt noch ein letztes Wort an unsere LIEBEN NACHBARN? Aber gerne doch: Ich freue mich auf jeden einzelnen Badegast und hoffe, dass jeder nicht nur gut drauf, sondern auch nett zu mir ist. Dann bin ich auch nett zu euch. Und ich wünsche mir natürlich eine Saison ohne Unfälle und Verletzte. Mögen sich alle gut verstehen und einen fröhlichen Sommer zusammen verbringen!

Unser Fazit: ist der Spruch „Sehen und gesehen werden“ mittlerweile doch nicht zutreffend. Und was die anderen Vorurteile anbelangt, so kann hinter manchem Volleyballer durchaus ein charmanter Typ stecken – und hinter einer braungebrannten Sonnenanbeterin eine lebensfrohe, liebenswerte Dame. Wäre ja auch langweilig, wenn alle gleich wären. Also – packt Eure Badetasche und auf ins Schwimmbad. Welcher Gruppe Ihr dann dort angehören möchtet, bleibt natürlich Euch überlassen ;).

Interviews & Text: Angelina Winkler, Models: Nadja & Larissa
Fotos: Nico Manger & Angelina Winkler