ARBEIT & VERGNÜGEN, GESELLSCHAFT, NACHBARN, SEHEN-HÖREN-FÜHLEN

BACHELOR OF HEARTS

Früher war das Laby unsere Heimat. Heute streichen sich hier gerade volljährig gewordene Hipster mit ihren Kulturwixxerbrillen gegenseitig die Dreitagebärte und werfen sich über den Kicker lauthals Beleidigungen zu, die keiner mehr genau versteht. #Lifestyle

Eigentlich fühle ich mich nicht alt, doch so umzingelt von zwanzigjährigen Freigeistern, die noch zwei Semester brauchen, bis sie ihren BWL-Bachelor endlich in der Tasche haben, trägt die schummrige Beleuchtung des Clubs schwer zu einer melancholischen Stimmung bei. Über mein genaues Alter rede ich ungern, doch sagen wir so: Wenn eine Frau meine Wohnung über dem ehemaligen Corso Kino nicht findet, ist sie eindeutig zu jung für mich. Und trotzdem habe ich noch kein abgeschlossenes Studium oder bin gar einer dieser motivierten Mittzwanziger-Dozenten. Dafür habe ich mittlerweile gelernt, wie peinlich es ist, sich in einer Studentenkneipe über die Zitrone in seinem Gin Tonic zu beschweren und weiß mittlerweile, wo die für mich wichtigen Unibibs in der Stadt verteilt sind. Letztes Semester hat mich so ein kleines Mädchen wirklich total schulbuchmäßig gefragt: „Könnten Sie mir bitte den Weg zur Teilbibliothek Kultur-, Geschichts- und Geowissenschaften beschreiben?“ In der Situation war ich dann so erschlagen von dem „Sie“, ihrer Kindlichkeit und dem Kontakt zu Frauen im Allgemeinen, dass ich der Orientierungslosen nur stammelnd empfohlen habe, eine dazu passende App zu suchen. Ob es die überhaupt gibt, weiß ich nicht. Keine Glanzstunde meiner Schlagfertigkeit jedenfalls, obwohl ich sogar einige Semester Rhetorik studiert habe. Aber das ist eben der Unterschied zwischen Uni und dem #Reallife. 

Gerade als ich mit dem Thema abschließen möchte und einen großen Schluck aus meinem Gin Tonic nehme, fällt mir wieder ein, was ich vor kurzem in der „Welt“ gelesen habe: Über die Hälfte der Arbeitgeber sind mit frisch angestellten Bachelor-absolventen unzufrieden. Diese brächten zu wenig „work experience“ mit. Neben der Tatsache, dass Wörter wie „work experience“ nichts in der deutschen Sprache zu suchen haben, bin ich der festen Überzeugung, die Arbeitgeber vermissen eher so etwas wie Lebenserfahrung bei diesen Anfang Zwanzigjährigen. Aber die wissen nicht einmal wohin im Leben – und so etwas wie persönliche Reife können sie gar nicht haben, wenn Bayern ein Jahr Gymnasium streicht, man den Wehrdienst abschafft und versucht, die Kürzung der Regelstudienzeit durch den freiwilligen Erwerb von Softskills auszugleichen. Ich persönlich besitze keine zertifizierten Softskills und zu einer dunklen Stunde fragte mich unser steinerner Kilian auf der Alten Mainbrücke einmal wirklich, ob mich das jetzt zu einem schlechten Menschen macht. #SadMoments

Fabian_Neubau5

Nächster Gin Tonic, neuer Gedanke: Einer dieser Laissez-faire-Vertreter bin ich dann aber auch ganz und gar nicht: Wenn so ein Schmalspurphilosoph wie Richard David Precht wieder einmal Aufmerksamkeit braucht und ohne Ahnung vom Bildungssystem erklärt, die Universität solle auch vermitteln, eigenverantwortlich zu entscheiden, wann man faul sein darf, rege ich mich sofort furchtbar auf. Nicht nur, dass „verantwortlich“ und „faul“ in der Sprache, auf die wir uns geeinigt haben, einen Gegensatz bilden – nein, ich stelle mir dann immer vor, wie das in Deutschland aussehen würde. Ein Pflichtseminar „Wann darf ich faul sein?“, geleitet von einem fünfundzwanzigjährigen Masterabsolventen mit Multiple-Choice-Test am Ende des Semesters. #Bolognareform

Also, den Weg der Mitte? Ich könnte als zeitgenössischer Buddha morgens die „FAZ“ lesen, mittags bei „VeganLifeStyle“ auf „gefällt mir“ klicken und abends immer noch nicht wissen, ob mir der Schweizer Asylantentatort zu drastisch war. Doch dann wäre ich in fünf Jahren wie meine Eltern – und mit jedem Gin Tonic wird mir eins klarer: Die teuren Weinflaschen zuhause sind kein Zeichen, endlich angekommen zu sein, sondern nur eine heimliche Beichte der Einsamkeit. #VirtuosenAmGetränk

An solch Gin-getränkten Abenden drängt sich mir wiederholt der Gedanke auf, dass es wichtig ist, nicht nur schnell voran, sondern auch weiter zu kommen. Doch diese Überlegungen enden meistens im Vollsuff mit einer Strafanzeige oder schlimmer noch: mit einem spätnächtlichen Anruf bei meiner Exfreundin.

Nach einem letzten, abschließenden Beruhigungs-Gin-Tonic komme ich für mich zu dem Schluss, dass weder 180 ECTS-Punkte, noch eigenverantwortliches Unischwänzen oder sonst etwas ausreicht, um aus mir so einen echten Erwachsenen zu formen. Ja, am Ende gar einen guten Menschen. Was es dafür braucht, weiß ich einfach nicht. Deshalb starre ich etwas hilfesuchend auf den Boden meines leeren Drinks, doch auch hier finde ich leider keine ehrliche Antwort. Ob ich bald da bin? Ich glaube, die entscheidende Frage ist: „Wohin überhaupt?“. Das wird bei mir wohl noch ein Abenteuer in Würzburg – mit Verlängerung der Regelstudienzeit. #Bachelor of Hearts

Text: Fabian Bader; Fotos: Pascal Höfig

 

#Fabian Bader: „Gin-geschwängerte Geistesblitze und düstere Momentaufnahmen der Generation Hashtag“, so beschreibt der Literatur-Newcomer Fabian Bader seine Texte. Aufgewachsen in Würzburg entschied sich der nun 23-Jährige für ein Studium der Philosophie und Germanistik in Regensburg. In der dort ansässigen akademischen Literaturwerkstatt fand Bader die Freude am eigenen Schreiben. Wenig später entdeckten andere sein jugendliches, unverbrauchtes Talent. So wurde er innerhalb weniger Monate Sieger der PULS-Lesereihe 2015 des Bayerischen Rundfunks, Gewinner des Write&read Nachwuchsförderpreises der Jungen Verlagsmenschen und erster Stipendiat des Schreibhains Berlin. Jetzt wartet Bader gespannt, was die Literatur-szene auf der Buchmesse Leipzig ihm im März zu bieten hat.