GESELLSCHAFT, NEWS

ES GIBT VIEL ZU TUN – WIR LEGEN UNS HIN!

 

Na, wie geht’s uns denn heute so? Lodert die böse Burnout-Flamme oder sind Sie schon unterwegs ins heilsbringende Sabbatical? Keine Lust? Klarer Fall von Bore-out, der derzeit hippsten medizinischen Diagnose, krank vor lauter Langeweile am Arbeitsplatz. Ganz gleich, welche postmoderne Absurdität an Ihnen nagt – fest steht: Wir haben vor lauter Work-Life-Balance das Verhältnis zu unserer Arbeit verloren. Und es ist Zeit, sich das zurückzuholen. Ein Meinungsbeitrag.

Machen wir’s kurz und pauschal. Schuld an allem sind die Radiomoderatoren. Wenn Montagfrüh um halb neun schon die verheißungsvolle Maßgabe durch den Äther wabert: „Nur noch fünf Tage, dann ist endlich wieder Wochenende“ und der Pendlerchor im Superstau auf der A3 bei Biebelried dazu inbrünstig Kenny Loggins‘ meist missverstandenen Hit „Oohooh Hard Life“ skandiert, läuft so Einiges falsch. Falls Ihnen der Satz jetzt doch zu lang war, hier noch mal in mathematischer Prägnanz: Verfügbares Leben Ihrerseits = 1. Da braucht es eigentlich nicht sonderlich viel Kopf, um sich gehörig an selbigen zu fassen. Sie freuen sich da gerade, dass fünf Tage Ihres Daseins auf dieser Erde bald vorüber sind, nur weil Sie am Wochenende nicht arbeiten müssen und tun können, wonach Ihnen der Sinn steht? Mal abschalten, den vielbesagten Akku aufladen – an den Memoryeffekt hat natürlich keiner gedacht. Erst recht kein Radiomoderator. Sind die Energiezellen erst vollends hinüber, geht’s vom Burnout nahtlos ins Sabbatical. Eine gewisse Zeit arbeiten für reduziertes Gehalt und dann ein halbes Jahr zum sozialen Hüttenbau ins Amazonasgebiet, während die Firma trotzdem weiter Geld überweist, weil sie so schön artig waren. „Was wären wir ohne Sie, Schulz!? Deshalb geben wir Ihnen für maximale Erschöpfung jetzt maximale Erholung!“. Klingt nach einem fairen Deal, oder, Schulz? Nein.

Die Bürde in Badehosen
Wohl eher nach Dealer, der sich die nächste Lieferung teuer bezahlen lässt. Diese und andere Entartungen beweisen: Wir haben das Verhältnis zur Arbeit an sich verloren, das gesunde Maß – stattdessen hetzen wir rast- und ruhelos von einem Extrem ins nächste. Immer auf der verzweifelten Suche nach einem Modus, in dem sich Leben und Arbeiten gleichzeitig trennen und in Einklang bringen lassen. Den Job von 9 bis 18 Uhr, das Leben davor, danach und mit etwas Glück am Wochenende. Jedenfalls, wenn eines der durchschnittlich 1,4 Kinder hoffentlich irgendwann bitte bitte das Firmen-Smartphone im Fischteich versenkt. Work-Life-Balance lautet das Zauberwort unserer Zeit. Seit Jahren postulieren Unternehmensberatungen gebetsmühlenartig dieses mystische Mantra, hippe Chefs von noch hipperen Start-ups umwerben damit Young Professionals der Generation Y. Die dröge Excel-Liste doch mal im heimischen Garten beackern, bei gutem Wetter früher Schluss machen und an den See – das will die motivierte junge Arbeitselite von heute, sagen Studien. Mehr Leben statt mehr Verantwortung. Das Fatale an dieser Geschichte: Der eigentliche Bezug zur Arbeit bleibt derselbe wie bei einem Kohlestaub kotzenden Bergarbeiter im 19. Jahrhundert. Sie wird als Bürde empfunden, die man nunmal erdulden muss. Allerdings geht das natürlich in Badehosen deutlich einfacher, zumindest für einen Moment. Denn am Ende der Kausalkette stiehlt man sich irgendwann in seinen späten Vierzigern klammheimlich zum Bienenzüchten nach Alaska oder macht im schlimmsten Fall gleich ein für allemal Feierabend.

(Eng-)Land in Sicht
Doch keine Angst: Es gibt Hoffnung. Man muss sie nur mit der großen Lupe suchen – zum Beispiel in Südengland. Von dort aus versucht der Intellektuelle Tom Hodgkinson seit einigen Jahren die arbeitsmoralische Revolution ins Rollen zu bringen. Sein Manifest „Anleitung zum Müßiggang“, 2004 veröffentlicht, ist mittlerweile so etwas wie die Bibel für den Ausstieg aus dem Hamsterrad. „Der Kapitalismus hat den Job zu einer Religion gemacht“, schreibt der Autor mit spitzer Feder und torpediert aus allen geistigen Rohren das von Benjamin Franklin einst geprägte Postulat: „Early to bed, early to rise makes a man, wealthy and wise.“ Das Ergebnis mag seinerseits manchmal radikal sein, zum Beispiel dann, wenn Hodgkinson amüsant den Tod des mehrstündigen, Martini-geprägten Mittagessens beklagt; zugleich führt er jedoch darin plakativ vor Augen, wie selbstverständlich wir uns mit gewissen Prinzipien abgefunden haben, die unser (Arbeits-)Leben dominieren. So entlarvt Hodgkinson das moderne Turbo-Mittagessen zwischen Meeting A und Kundentermin B nur als notwendiges Mittel, die Mensch-Maschine irgendwie mit Treibstoff zu befeuern, damit hinterher die Arbeit wieder pünktlich erledigt werden kann. Mit dem gleichen Ansatz rührt der Autor die Werbetrommel für verpönte „Aktivitäten“ wie das Kranksein, den Kater oder das ziellose Umherflanieren. „Wie bei allen Aspekten des Müßiggangs sollten wir uns dem Druck widersetzen, alles in unserem Leben abzulehnen, was nicht in das Paradigma des Produktiven, Vernünftigen und Arbeitsamen passt (…).“ Stattdessen könne man mit etwas Übung auch im scheinbar Nutzlosen etwas Sinnvolles entdecken. Bestes Beispiel: Morgens länger im Bett bleiben und kreative Gedanken entwickeln: „Durch das Liegenbleiben im Bett erheben wir uns über das Niveau von Maschinen. Roboter denken nicht nach, sie machen einfach weiter.“ Also ein erster Schritt zu einem selbstbestimmten Leben, „frei von Vorgesetzten, Wochenlöhnen und Berufsverkehr und Schulden.“ Das bedeutet gleichfalls nicht die Abkehr von jeglicher Arbeit. Hodgkinson selbst arbeitet, bewirtschaftet als Quasi-Selbstversorger sein kleines Landgut, hat in London sogar eine Akademie für Müßiggänger ins Leben gerufen und verschenkt seinen Bestseller sicherlich auch nicht. Aber es ist eine Tätigkeit mit dem für ihn richtigen Maß. Die Arbeit an sich ist nicht der Feind.

An die Arbeit!
Mit Hodgkinson im Hinterkopf wird die viel beschworene Work-Life-Balance ungefähr so erstrebenswert wie eine dreistündige Powerpoint-Präsentation über Quartalszahlen am Freitagnachmittag – beim Zahnarzt. Statt uns in unserem Leben von und für die Arbeit zu erholen, müssen Leben und Arbeit zu einer Einheit verwoben werden. Da ist es nicht getan mit einem Aufenthalt im Schweigekloster oder dem zweiwöchigen Rückzug in den Bauwagen samt Plumpsklo am Ende der Welt. Weil das rein gar nichts an der Haltung zur Arbeit ändert. Was wir brauchen, ist schlicht und einfach Life-Balance, eine Ausgewogenheit im Leben selbst, frei von extremen Auswüchsen und Ausflüchten. Klar, mit Arbeit. Aber irgendwo dazwischen, mittendrin und eigentlich-weiß-ich-gar-nicht,-wo-ich-die-Arbeit-zum-letzten-Mal-gesehen-habe. Damit das irgendwann vielleicht mehr wird als das idealistische Hirngespinst eines Freiberuflers, der diesen Text gerade auf dem Balkon seines Büros in einem Sitzsack formuliert, gibt es Folgendes zu tun: Zunächst geben wir der bloßen (und eigentlich auch völlig langweiligen) Reduzierung des menschlichen Daseins auf Ökonomie den Laufpass. Stattdessen öffnen wir all den Eigenheiten und Irrationalismen, die den denkenden Menschen von der tumben Maschine unterscheiden, Tür und Tor. Denn wie es eben so ist: Die Konsumenten machen den (Arbeits-)Markt – da braucht es eigentlich keine Zuckerstückchen mit schalem Beigeschmack wie Büro-Fitness, Firmen-Yoga, Gemüseshakes und Co. Es gibt wirklich viel zu tun. Legen wir uns hin. Und denken darüber nach.

Text: Thomas Brandt; Foto: Nico Manger