GESELLSCHAFT, PAULINE

Du hast den besten Balkon der Stadt

ES IST TIEF IM WINTER … JETZT MACH DIE AUGEN ZU UND TRÄUM DICH ZURÜCK: IN DEN WARMEN WÜRZBURGER SOMMER.

Du hast den besten Balkon der Stadt, wir sitzen im vierten Stock und beobachten das Herzkreislaufsystem der Umgebung. Es ist stabiler als unseres, die Straßenbahnen takten sich, die Lichter, die Uhren, die Alarmanlagen und die Bremsen der Automobile, die immer gerade noch rechtzeitig ausweichen. Wir bewegen uns fast eine Woche nicht, eine Membran aus Temperatur hat sich um die Gliedmaßen gelegt, dein linkes Auge immer halbgeschlossen, denn Zweidimensionalität reicht uns momentan, mehr wollen wir gar nicht; in diesem Kontext ist das mehr als wir anderswo jemals bemerkt haben.

Zur blauen Stunde ziehen wir uns eine Adaption von Gesellschaftsfähigkeit über, fahren mit dem Lift – in dem wir uns kurz küssen – runter, und nehmen die wichtigen Punkte der Stadt ein. Wir schlucken die Stadtviertel wie Pillen, wir inhalieren den schwülen Dunst der Dämmerung und baden in den Brunnen vor strategisch wichtigen Gebäuden der Tourismusbranche. Und es geht ja nicht nur um Tourismus, es geht ja um uns und die Stadt, den Anblick der Fresken, die Zeitschaltuhren der unverzichtbaren Architektur.

Der Abend streift unsere Schultern im Vorbeiziehen, die Farbe der Luft legt sich an unsere Silhouetten, wir wanken wirklich ganz leicht, so wie du gesagt hast. Ein perfektes Wanken, das beste Wanken, das wir uns vorstellen können, heute oder zu dieser Zeit.In diesen Tagen riecht es zwischen den Häuserzeilen nach Hefe und gebackenem Obst. Ich verwende absichtlich nicht Häuserschluchten, weil, wo kämen wir denn da hin. Damit kann ich doch diese Stadt nicht beschreiben.

Wir mäandern am Fluss, in geometrischen Figuren, in beschaulichen Kreisen, im Spätsommer, zu dieser Zeit. Wir konstruieren uns Tangenten, unsere Schultern streifen sich im Vorbeiziehen des Abends, es ist exakt so perfekt wie wir es gelernt haben in den Büchern, die wir früher lasen, beiläufig und voller Hoffnung, dass es eines Tages wirklich so sein könnte. Unsere Köpfe geben zeitverzögert Signale, steh jetzt auf, bitte, Körper, jetzt laufen, atmen, gleich sind wir da und können bleiben. Überhaupt möchte mein Körper oft nicht mehr aufstehen, wenn ich bei Dir bin, denn im Einvernehmen mit meinen zerebralen Strukturen ist das der Ort, an dem ich sein möchte.

„Und wusstest Du“, sagst Du zu mir, Dein Kinn ganz leicht auf meiner Schulter ruhend, grade so, dass alles ganz angenehm ist und nichts zu schwer, „Wusstest Du, dass sie die Residenz bauen ließen, weil das billiger war, als auf der Festung zu sein?“ Und wir reden über Wegegeld und Kerzen, auf dem Weg dahin, wir reden über Ortswein und erste Lage, es ist alles richtig mit dieser Region. Im Vorbeiziehen streift mich die Umgebung, macht mir Haarrisse in die Oberfläche, die Stadt malt Fresken auf meine Haut. Ich möchte das erhalten, noch Jahre danach, sagen wir fünf, eine Restauration, mindestens, über den Kontinenten immer Apoll, der Beschützer der Künste, in diesen Tagen vor allem von Sonne und Licht.                                          Text: Pauline Füg