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Immer eine (Zeit)Reise wert Das Monophon in Grombühl

Über 40.000 Schallplatten stapeln sich hier bis zur Decke und in manchen Ecken hat man Angst,dass einem die vollgestopften Regale entgegenkommen. Wer braucht schon Ordnung, das Genie überblickt das Chaos – heiSSt es. Ladenbesitzer Michael Pfreundschuh ist der lebende Beweis.

Mit Kamera und Notizblock bewaffnet machen wir uns auf den Weg nach Grombühl. Ich bin mal nicht spät dran, wir können uns Zeit lassen, also schlendern wir so vor uns hin. Sind gespannt aufs Interview mit Michael Pfreundschuh, verzichten auf Smalltalk. Nicht weil man sich nichts zu sagen hat, einfach weil es manchmal reicht, in derselben Stimmung zu sein. In der ‚Ich hänge meinen Gedanken nach‘-Stimmung. Über die Brücke, Richtung Wagnerplatz. An diversen Shops vorbei, die Secondhand- Klamotten verkaufen. An dem wunderbaren kleinen Laden vorbei, der (Achtung Werbung!) mit absoluter Sicherheit die beste Trinkschokolade aller Zeiten verkauft. An entzückenden Geschäften, die alles Mögliche verkaufen. Und an, sagen wir – etwas in die Jahre gekommenen Läden, bei denen sich einem auf den ersten und ehrlich gesagt auch zweiten Blick nicht so recht erschließt, was sie eigentlich verkaufen. Egal.

Weiter Richtung Monophon. Dem (nicht nur) unter Kennern berühmt-unberüchtigten Plattenladen in Grombühl, haben wir uns sagen lassen. Grombühl also – der Stadtteil, der in den letzten Jahren immer mehr Studenten, junge Familien und frisch gebackene Wahlwürzburger anzieht. Vor allem solche aus Berlin, heißt es. Angeblich erinnert sie das Flair hier irgendwie an ihre Heimat. Das Little Berlin Würzburgs, wie man es in hippen Kreisen seit Neustem so schön nennt. Über 40.000 Schallplatten stapeln sich hier bis zur Decke und in manchen Ecken hat man Angst, dass einem die vollgestopften Regale entgegenkommen. Wer braucht schon Ordnung, das Genie überblickt das Chaos – heiSSt es. Ladenbesitzer Michael Pfreundschuh ist der lebende Beweis. Wie auch immer. Wahrscheinlich tut man gut daran, sich einfach mal rauszuhalten aus all der Fachsimpelei darüber, was an Würzburg denn nun besonders cool ist und was nicht und warum und warum nicht und überhaupt. Ich mag es hier. Meistens jedenfalls.

Vor allem die Ecken, die nicht betont anders sein wollen, die gar nichts betonen, sondern bloß da sind und da bleiben. So wie dieses Fleckchen Grombühl eben. Und wie die 90 Quadratmeter Zeitkapsel, auf die wir zusteuern. Aber lest selbst. Schon von Weitem erspähe ich den kleinen Laden mit dem originellen Namen. Die beinah vollständig zugestellten Fenster und die Kartons mit Büchern vor der Tür machen mir spontan gute Laune. Ich ertappe mich dabei, wie ich einem totalen Klischee verfalle, indem ich denke: Wow, so stellt man sich einen ordentlichen Plattenladen vor. Ordentlich selbstverständlich nicht im wörtlichen Sinn. Hätte ich das erwartet, hätte ich beim Öffnen der Tür mein blaues Wunder erlebt. So erlebe ich nur ein ziemlich buntes: Platten, wohin das Auge reicht. Zugegeben – so weit reicht es auch wieder nicht. Denn wie gesagt: Charmante 90 Quadratmeter sind es bloß, auf denen Michael Pfreundschuh seinen ganzen Stolz präsentiert. Diese 90 Quadratmeter aber werden optimal ausgenutzt, das muss man Herrn Pfreundschuh lassen. „Michael bitte – duzt mich ruhig!“ Wird gemacht. Zwischen all dem Vinyl lädt ein Sofa dazu ein, es sich gemütlich zu machen. Ich überlege kurz, meine Jacke auszuziehen, entscheide mich aber dagegen. „Recht frisch hier, stimmt‘s?“, liest Michael meine Gedanken. Wir stimmen ihm zu. Sein Schal und seine Mütze auch. Im Sommer habe der Laden dafür den riesen Vorteil, angenehm kühl zu bleiben, erklärt Michael. Und fügt hinzu: „Hat alles seine Vor- und Nachteile, wie halt das Meiste im Leben.“ Da hat er natürlich auch wieder Recht.

Nico wird erstmal einen Auftrag los – er soll einer Freundin eine Earth, Wind and Fire Platte mitbringen. „Haben wir gleich!“, verspricht Michael und macht sich recht zielbewusst auf die Suche. Ich mache es mir solange auf dem Sofa bequem und schaue mich noch einmal in Ruhe um. Mache große Augen wie ein kleines Kind. Ertappe Nico dabei, wie er dasselbe tut. Und muss grinsen. „Was ist los?“, fragt er mich. „Och nichts“, sage ich und denke: Hier bleib ich. Jedenfalls so lange, bis es mir zu kalt wird. Uns fällt auf, dass es nicht nur Platten zu entdecken gibt; auch CDs, diverse Hi-Fi-Geräte, Boxen, Lautsprecher, Lampen, Spiele, Filme, Comics oder das ein oder andere Buch – buchstäblich bis ins hinterste Eck aufgestapelt.

An den wenigen freien Stellen hängen  Bilder an den Wänden, Alben-Cover, Zeitschriftencover, Werbeanzeigen, eingerahmt, uneingerahmt. Mir gegenüber – gefühlt mitten im Raum – steht ein Plattenspieler. „Darf man hier probehören?“ frage ich Michael. „Na aber selbstverständlich!“ antwortet er. Platten ungeöffnet lassen sei ja wohl Quatsch, schließlich seien sie zum Hören da. Klingt einleuchtend. Den Laden am Wagnerplatz gibt es seit Mitte der 90er erzählt uns Michael. Angefangen hat er mit einem kleinen Geschäft in der Neutorstraße, danach gab es noch den Laden in der Sartoriusstraße neben dem guten alten AKW. Seit über 20 Jahren ist er nun hier und will am liebsten nie wieder weg – „Da hängt einfach dein Herz dran, an so einem eigenen kleinen Laden. Den du gestalten und führen kannst, wie du es für richtig hältst.“ Solange er sich hält, versteht sich. Und er hält sich wacker. „Anders als so einige Geschäfte in der Umgebung“, berichtet Michael traurig. „Immer mehr Shops in Grombühl müssen leider schließen. Die Leute bestellen immer mehr im Internet, klar – ist praktisch, spart Zeit. Aber die kleinen Läden überleben das oft nicht. Es ist einfach so schade um all das, was dabei verloren geht.“

Vor der Entscheidung, sein Hobby zum Beruf zu machen, arbeitete Michael Pfreundschuh als Bauzeichner. Bereut hat er den Schritt in die Selbstständigkeit als Plattenladenbesitzer nie. Selbst spielt er Akkordeon und Gitarre, liebt viele unterschiedliche Musikrichtungen, ist für verschiedenste Genres offen, seine Passion gilt aber der Avantgardemusik: Da kann auch mal eine ganze Platte nur mit verfremdeten Tigergeräusche dabei sein. „Tigergeräusche???“, frage ich und denke, ich habe mich verhört. „Tigergeräusche“, wiederholt Michael schmunzelnd. Er verschwindet kurz im Hinterraum, taucht mit einer Schallplatte in der Hand wieder auf und streckt sie uns triumphierend entgegen. Ein riesiger Tigerkopf ziert das Cover und zu lesen ist: Annea Lockwood – Tiger Balm / Amazonia Dreaming. Sachen gibt’s … Michael hat kein Smartphone, nicht mal ein Handy, keinen Fernseher und auch keinen Laptop. „Meine Frau hat einen.“ Reicht ja auch. Bestellungen nimmt er persönlich im Laden entgegen – oder per Telefon. „Hast du die Earth, Wind and Fire Platte gefunden?“ fragt Nico. „Oh ja stimmt! Völlig vergessen vor lauter Quatschen, bin gleich wieder da!“ Ich werfe einen Blick auf das Schnurtelefon mit Wählscheibe und schwelge kurz in Kindheitserinnerungen. Apropos – im Monophon gibt es auch Kassetten: Bibi, Tina, Pumuckl und Co., aber auch ganze Musikalben. Für den Fall, dass man seinen alten Kassettenspieler nicht mehr findet und man auch nicht mehr so genau weiß, wo der Walkman von damals eigentlich abgeblieben ist: Im Monophon gibt’s kaum was, was es nicht gibt. Außer Internet.

Neuen Input holt sich Michael Pfreundschuh am liebsten über persönliche Empfehlungen oder bekommt Infos zugeschickt. Da ist er dann doch immer up to date. Kostet eine neue Platte mehr als 30 Euro, bestellt er sie nicht. Dafür gibt’s bei jedem Kauf eine Hülle gratis dazu – und auf Wunsch auch eine Tüte. Gebraucht natürlich, gekauft hat er noch nie welche. Freunde bringen sie mit und er verwendet sie weiter. 18.000 Tüten rechnet er vor hat er so im Laufe der Jahre eingespart. Seine Kundschaft ist kunterbunt gemischt – und das ist auch gut so, findet Michael Pfreundschuh. „Klar gibt es manchmal den ein oder anderen komischen Kauz, der sich hierher verirrt und einfach nett plaudern will über Gott und die Welt. Aber das macht mir nichts aus – im Gegenteil. Ich mag schräge Vögel.“ Ich auch.

Im laden kann ich die nicht spielen. „Was macht denn meine Earth, Wind and Fire Platte?“, lacht Nico. „Gefunden!“, strahlt Michael. Während er mehrere Alben aus einer der zahlreichen Kisten zaubert und Nico ausführlich dazu berät, stoße ich beim Stöbern zufällig auf eine Earth, Wind and Fire Kassette. Eindeutig Schicksal, die wird gleich mitgekauft. Ob mit oder ohne eigenen Plattenspieler – so viel steht fest: Ab jetzt komm ich öfter her. Text