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Das Ding mit dem Weiss

Ich schau zu meinem Kumpel, deute auf den Fleck Tomatensauce auf seinem weißen T-Shirt und grinse über beide Ohren: „Oh Mann, ey, ICH HAB’S GEWUSST!“ stöhnt er und versucht sich mit Spucke und Daumennagel an der Schadensbegrenzung … erfolglos.

„Hey Ulf, ich hab ne total suuuper Idee! Lass uns doch in der Fußgängerzone, also so KOMPLETT DURCH DIE INNENSTADT, einfach mal weißen Stein verlegen!“ „Mensch Herbert, der Knaller! So mach ma des! Des sieht bestimmt dodaaal gut aus! Du, ich sag’s mal dem Chef, den Frieder kenn ich gut vom Tennis!“

Dafür, dass man sich vor der Umsetzung eines bestimmten Machwerks überlegt, welche Eigenschaften das betreffende Machwerk im Idealfall aufweisen sollte, gibt es eine Umschreibung: „Gesunder Menschenverstand“. Es scheint irgendwo bei den Städteplanern eine neue Richtlinie zu geben oder ein neues „Kompetenzbüro“ eingerichtet worden zu sein, dessen Ziel es ist, das Rad neu zu erfinden – und das, falls möglich, dreimal so teuer und halb so effizient; Willkommen im Öffentlichen Dienst. Da ich selbst im Öffentlichen Dienst tätig bin, wundert’s mich kaum, dass früher oder später ein Ulf, ein Herbert und ein Frieder beschlossen haben, die Innenstadt sähe in Weiß doch viel schicker aus – und dabei vor lauter Begeisterung glatt vergaßen, dass Fußwege in der Regel auch benutzt werden.

Ich laufe die neue weiße Fußgängerzone entlang und denke mir, Mensch, die Kaugummis auf der Straße, die sind mir früher gar nicht so aufgefallen. Durch den deutlich besseren Kontrast auf dem hellen Hintergrund ertappe ich mich dabei, dass ich noch wesentlich genauer hinsehe als sonst. Ich fange an, Muster zu suchen: „Kaugummi, Kaugummi, Kaugummi, das könnte ein verschütteter Kaffee gewesen sein, Kaugummi, Kaugummi, Senf (wohl von einer Bratwurst), Kaugummi … und das? Igitt – das war wohl vom Hund …“ Naja, wie das bei solchen glorreichen Ideen meistens der Fall ist: Wird es toll, erscheint darüber ein Artikel in der Lokalzeitung, wird es … nunja … so wie es jetzt eben ist (und zu erwarten gewesen wäre), will es keiner gewesen sein. Man könnte zumindest aus den Fehlern lernen und sagen: Hey, okay, weißer Fußboden als Straßenbelag? Ganz schlechte Idee … Doch weit gefehlt!

Nicht nur in Würzburg erstrahlt die Innenstadt (vorübergehend) in Weiß, auch in Tauberbischofsheim hat man die Idee für gut befunden und eifrig umgesetzt. Dort war am Wochenende Altstadtfest. Zur „Schonung“ des Bodens hat man um die Imbissbuden Teppiche verlegt, da ja dort prinzipiell die Gefahr am größten ist, dass gekleckert wird. Eine weitere Maßnahme  bestand darin, dass nur noch Weißwein ausgeschenkt werden darf – der Verkauf von Rotwein in der Innenstadt wurde untersagt, kein Scherz! In Würzburg müssen die Bauarbeiter auf dem Gehweg schwarzes Fließ ausbreiten, um die Steine nicht zu „beflecken“ – und man denkt sogar darüber nach, ob man die Kaugummis nicht mit einer Vereisungsmaschine und einer Spachtel entfernen könnte. Aber hey, wieso denn auch die Fußgängerwege wie früher teeren? Das war viel zu billig, man hat die Kaugummis drauf nicht gesehen – und Schäden konnten auch viel zu leicht ausgebessert werden!

Mir geht das alles nicht weit genug! Ich fordere, dass am Eingang der Fußgängerzone ein Ordnungsbeamter steht, der jedem Passanten in den Mund schaut und diese widerwärtigen Kaugummis konfisziert! Für Kaugummischmuggel verlange ich die Auferlegung von Sozialstunden, der Strafenkatalog soll sich hierbei nach Größe und Farbe des Kaugummis orientieren: einzelnes weißes Kaugummidragee: fünf Stunden; klassischer Kaugummistreifen (z. B. Wrigley Doublemint), sieben Stunden. Der Hubba-Bubba BubbleTape „new mistery flavor“ ist mit einer Sozialstunde pro Zentimeter zu vergelten! Weiterhin verlange ich das Verbot schwarzer Schuhsohlen (wie man es ja bereits vom Hallensport kennt), Personen mit dunklen Sohlen können wahlweise Barfuß durch die Innenstadt oder bekommen Leihpantoffeln ausgehändigt. Hunde und Kinder unter fünf Jahren sind an der Leine und mit Windel zu führen, das Mitbringen von Speisen und dunklen Getränken ist untersagt, Kaffee wird nur noch mit wenig Pulver und viel Milch verkauft. In Anbetracht der aktuellen Kosten halte ich diese Maßnahmen für vertretbar, ich bin Öffentlicher Dienst, ich darf das!                                                

Text: Sebastian Fiedler