NEWS, PAULINE

Die mit den Augen ringt

IF YOU ARE TIRED PUT A RING ON IT

„Geht es dir gut?“, „Alles okay?“ oder „Nimmst du Drogen?“. Mit solchen Sätze werde ich seit ich mich erinnern kann, begrüßt: Von Freund_innen, Lehrer_innen, Kommiliton_innen, Kolleg_innen und sogar von Menschen, die ich gar nicht kenne.

 

Der Grund dafür: ich bin von Natur aus sehr blass, dünn und ich habe – egal, ob ich viel oder wenig schlafe – Augenringe. Augenringe so krass, wären es Verlobungsringe, ich würde ein Vermögen damit verdienen, könnte ich sie verpfänden.

Meine Brüder haben das gleiche „Problem“, die Sache ist klar: Es ist genetisch bedingt. Einer meiner Brüder sagt immer: „Pauline, wir sehen einfach von Natur aus fertig aus, das ist unser natürlicher Zustand. Und wenn wir dann mal neutral schauen und nicht lächeln, dann wird es noch schlimmer.“

Recht hat er. Leider. Als Jugendliche hab ich alles probiert: An vorderster Front natürlich mit Schminke, ich habe mir die Haare (mal grün, mal rot, mal blond) gefärbt, um von der Blässe und den Augenringen meines Gesichts abzulenken, ich habe mich im Sommer stundenlang ohne Sonnencreme gesonnt, um endlich braun zu werden, ich habe mir bunte Ohrringe gekauft, betont flippige Klamotten angezogen und immer einen Witz auf den Lippen gehabt, um zu zeigen: Es geht mir gut.

Sogar das schöne bequeme schwarze Kleid, dass ich mir zu Weihnachten gewünscht hatte, musste schnell wieder im Schrank bleiben. Dabei hatte ich mich so gefreut, als ich es bekommen hatte. Aber die Reaktion meiner Lehrerin nach den Ferien, als ich es stolz in der Schule präsentierte, war: „Pauline, in dem Kleid siehst du ja noch blasser aus als sonst. Alles okay?“ Ja, alles okay. Mir ging es gut, ich war erholt, zwei Wochen Ferien lagen hinter mir, ich hatte gut geschlafen. Und sah – wie immer – fertig aus.

Weil meine Eltern aus beruflichen Gründen viel umgezogen sind, war ich auf drei verschiedenen Gymnasien, auf jedem wurde ich irgendwann mal von der_dem Vertrauenslehrer_in vom Pausenhof geholt und gefragt, ob ich Drogen nehme und ob ich mich denn gut eingelebt hatte. Nein, keine Drogen, ja, gut eingelebt. Nein, ich wollte nicht über mein Drogenproblem reden, weil ich schlichtweg keines hatte. Ich wollte einfach zurück auf den Pausenhof und mit meinen Freund_innen quatschen. Klar, lieber einmal mehr gefragt, als einmal zu wenig, für mich war es dennoch eine Tortur, über etwas reden zu müssen, was nicht mein Problem war, und es bestätigte mir immer wieder: Du siehst nicht normgemäß aus.

Meine chronische Nebenhöhlenentzündung, die ich seit dem 13. Lebensjahr habe, und mein einer verstopfter Tränengang, den ich von Geburt an habe, machen meinen Look nicht besser.

Also fühlte ich mich beschissen. Nicht, weil ich mein Aussehen beschissen fand, sondern, weil mir fast jede_r suggerierte: Pauline, du siehst fertig aus, du musst brauner sein, fresher, das blühende Leben auf deinem Körper tragen. Je älter ich wurde, desto mehr fand ich herraus, was die Augenringe (die eh immer da sind) noch verstärkt: frühes Aufstehen (selbst, wenn ich neun Stunden geschlafen habe, vor acht Uhr aufzustehen steht mir einfach nicht), Erkältungen, wenn ich friere, wenn ich weniger als sieben Stunden schlafe und dann noch früh aufstehen musste. Quasi meine ganze Schulzeit lebte ich im sozialen Jetlag.

Ich habe das große Glück, als Künstlerin freiberuflich tätig zu sein, das heißt: Wenn es nicht unbedingt anders sein muss, stehe ich erst zwischen neun und zehn Uhr auf, das ist mein natürlicher biologischer Aufwachzeitpunkt. Ich bin fitter, leiste mehr, und sehe nur halb so fertig aus, wie sonst. Die Augenringe bleiben. Zur Zeit ist der Look „Blass mit Augenringen“ wieder in, ich gehe den Trend mit. Klaro. Ich habe mich damit abgefunden, auszusehen, wie ich eben ausehe, jenseits jeglicher Mode. In ein paar Jahren wird es wieder hip sein, sonnengebräunt und frisch auszusehen. Ich bleibe zeitlos beaugenringt und mit markantfreundlicher Blässe. An Halloween geh ich als Vampir oder Elfe. Schminken ist da kaum notwendig, nur noch ein paar abgefahrene Kontaktlinsen rein, fertig ist das Kostüm.

Seit ein paar Jahren trage ich bevorzugt knalligen Lippenstift, dazu blonde Haare und eine Brille, das macht mich zusätzlich noch etwas frischer, weil eben manchmal doch der erste Eindruck zählt. Ich möchte ja wiederum auch nicht, dass der_die Veranstalter_in die_der mich für eine Lesung bucht, denkt, ich wäre nicht fit. Wenn Menschen mich dann besser kennen, wissen sie ja, dass ich sehr auf mich achte, täglich Yoga mache, mich gesund ernähre und den Raum sofort verlasse, sobald sich jemand eine Zigarette anzündet.

Ab und zu besuche ich meinen Bruder in Berlin. Wir machen gerne Stadtspaziergänge. Manchmal lauern wir morgens vorm Berghain und mischen uns unter die Leute, die die Nacht durchtanzten und nun auf dem Nachhauseweg sind. Wir fallen gar nicht auf – ausgeschlafen wie wir sind – zwischen den Nachteulen, unsere Augenringe sehen schön aus, unverdächtig, als hätten wir ne Menge erlebt letzte Nacht. Und das haben wir: Wir haben gut geschlafen, schön geträumt und lecker gefrühstückt.

Später stoßen wir mit Orangensaft an. „Pauline, du siehst so richtig erholt aus!“ sagt mein Bruder.

Ich grinse. „Du auch!“ Dann gehen wir federnden Schrittes in die Mittagssonne davon.

Pauline Füg wurde in Leipzig geboren und wuchs in und um Nürnberg auf. Mittlerweile pendelt sie über Umwege nach Eichstätt, Berlin und Hannover kulturell zwischen Würzburg und Fürth. Seit über 15 Jahren gehört sie zu den renommiertesten deutschsprachigen Spoken-Word-Poetinnen. Sie arbeitet als Autorin, Dozentin für Kreatives Schreiben und als Creative Empowerment Coach. Ihr Lyrikband „die abschaffung des ponys“ erschien im Würzbürger stellwerck Verlag. 2015 gewann sie den Kulturförderpreis der Stadt Würzburg.

Weitere Infos: www.paulinefueg.de