Alle Artikel in: NACHBARN

Ein Gespräch mit dem Diplom-Psychologen Lorenz Wohanka. Als Experte für das Verhalten und Erleben von Menschen treibt ihn die stete Neugierde auf seine LIEBEN NACHBARN und Ihre Gedanken sowie Handlungen an. In dieser Ausgabe widmen wir uns dem Frühling: Wenn die Uhren irgendwie anders gehen, die Tage immer heller und länger werden, dann platzen alle unsere LIEBEN NACHBARN – ob Pflanze, Tier oder Mensch – schier vor Lebenslust. Es drängt uns in Cafés, auf wintermüde Ringparkbänke, um die ersten warmen Sonnenstrahlen zu erhaschen – und alles um uns herum wird anziehender, bunter, irgendwie attraktiver. Höchste Zeit für Frühlingsgefühle also … Was sind eigentlich „Frühlingsgefühle“? Nun, fragt Euch selbst, wie es Euch jetzt geht: Der Mensch meint, fast zu platzen, hat Lust auf die Welt, das Aus-dem-Haus-Gehen und Aus-sich-heraus-Kommen. Viele nehmen wahr, dass man sich offenbar leichter verliebt – und Frauen wie Männer bekommen (mehr) Lust auf Sex. Wenn wir die Frage nach der biologischen Basis und dem psychologischen Verständnis der Frühlingsgefühle stellen, wird es ein wenig komplexer, zumal es jede Menge Mythen dazu gibt. Ist …

BACHELOR OF HEARTS

Früher war das Laby unsere Heimat. Heute streichen sich hier gerade volljährig gewordene Hipster mit ihren Kulturwixxerbrillen gegenseitig die Dreitagebärte und werfen sich über den Kicker lauthals Beleidigungen zu, die keiner mehr genau versteht. #Lifestyle Eigentlich fühle ich mich nicht alt, doch so umzingelt von zwanzigjährigen Freigeistern, die noch zwei Semester brauchen, bis sie ihren BWL-Bachelor endlich in der Tasche haben, trägt die schummrige Beleuchtung des Clubs schwer zu einer melancholischen Stimmung bei. Über mein genaues Alter rede ich ungern, doch sagen wir so: Wenn eine Frau meine Wohnung über dem ehemaligen Corso Kino nicht findet, ist sie eindeutig zu jung für mich. Und trotzdem habe ich noch kein abgeschlossenes Studium oder bin gar einer dieser motivierten Mittzwanziger-Dozenten. Dafür habe ich mittlerweile gelernt, wie peinlich es ist, sich in einer Studentenkneipe über die Zitrone in seinem Gin Tonic zu beschweren und weiß mittlerweile, wo die für mich wichtigen Unibibs in der Stadt verteilt sind. Letztes Semester hat mich so ein kleines Mädchen wirklich total schulbuchmäßig gefragt: „Könnten Sie mir bitte den Weg zur Teilbibliothek Kultur-, Geschichts- und …

VON EINHÖRNERN UND REGENBÖGEN

Matthias Back ist im Juni 2015 zum ersten Mal Vater geworden. Wie es ihm als Papa so ergeht, wie viele Fotos seiner Tochter Sophia eigentlich auf sein Handy passen und warum das mit der Gleichberechtigung dann doch schwerer ist als gedacht – darüber hat seine Frau Julia mit ihm gesprochen. Julia: Hand aufs Herz – ist Elternsein so, wie Du es Dir vorgestellt hast? Matthias: Eigentlich habe ich es mir sogar etwas schwieriger vorgestellt, auch wenn ich nicht genau sagen kann, wie. Es ist natürlich stressig, aber vor allem für meine Frau Julia. Im Grunde bin ich auch nicht davon ausgegangen, dass unser Kind den ganzen Tag schläft oder sich selbst beschäftigt. Sophia ist sehr aktiv und braucht viel Zuwendung. Das ist auch gut so! Das Einzige, was mich wirklich überrascht, ist der Faktor Zeit. Die Zeiten, in denen man spontan etwas unternehmen möchte und zehn Minuten später im Auto sitzt, sind definitiv vorbei. Selbst um zum Supermarkt zu fahren brauchen wir nun eine halbe Stunde Vorlauf. Du wolltest nie Windeln wechseln. Jetzt machst Du …

POLARISIEREND

Der junge Mann hier ist 32 Jahre alt, hat Soziale Arbeit studiert, seine Abschlussarbeit über Sprayen und Jugendarbeit geschrieben und nennt sich selbst nur POLAR. Wir treffen ihn an der großen Brücke der Zeppelinstraße, der Hall of Fame, wie er sie liebevoll nennt. Vor uns steht ein Kerl, der so gar nichts mit Jugendlichen zu tun hat, die sich in Hinterhöfen durch schnelle Schmierereien einen Adrenalinkick verschaffen. Vielmehr erkennen wir schon die Ernsthaftigkeit seiner Berufung, als er die Maske aufsetzt und fürs Foto die Farbdose schwenkt. „Sprüher sind verrückte Charaktere“, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht, als er die Maske wieder abnimmt. Graffiti – das ist für ihn kein x-beliebiges Hobby, sondern vielmehr Lifestyle. POLAR ist Sprayer durch und durch, von Kopf bis Fuß – ebenso wie sein kompletter Freundeskreis. Im zarten Alter von 18 hielt er zum ersten Mal eine Dose in der Hand, damals war er noch stark in der Hip-Hop- und Skaterszene verwurzelt. Heute arbeitet der 32-Jährige in Würzburg als Sozialarbeiter und bezeichnet sich selbst als Schönwettermaler, der lieber bei Plustemperaturen …

WEIHNACHTEN – FRIEDVOLLES DYNAMIT

ALLE JAHRE WIEDER … BIRGT GERADE WEIHNACHTEN JEDE MENGE SOZIALEN SPRENGSTOFF. WIE MAN IHN ZUVERLÄSSIG ENTSCHÄRFT, ERKLÄRT UNS LORENZ WOHANKA IM INTERVIEW. ALS EXPERTE FÜR DAS VERHALTEN UND ERLEBEN VON MENSCHEN TREIBT DEN DIPLOM-PSYCHOLOGEN DIE STETE NEUGIERDE AUF SEINE LIEBEN NACHBARN, IHRE GEDANKEN UND HANDLUNGEN AN.   Weihnachten steht vor der Tür. Das Fest der Liebe ist nicht nur Anlass zur religiösen oder familiären Freude und zu unbeschwerten Feiern, sondern bietet auch reichlich Konfliktstoff und Raum für Einsamkeit, Trauer und sogar Gewalt. Woran liegt das EIGENTLICH? Kaum ein Fest ist so mit Erwartungen überhäuft wie Weihnachten. Während des ganzen Jahres können sich Menschen guten Gewissens aus dem Weg gehen und sind so nicht gezwungen, konträre Lebensweisen, Ansichten und Gefühle auszuhalten. An Weihnachten kommen nun plötzlich Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebenssituationen zusammen, die zudem oft nicht mehr gewohnt sind, in sehr engem Kontakt zu stehen. Die ultimative Forderung des Festes ist Frieden unter Menschen und ein gedeihliches, liebevolles Miteinander. Viele halten diese Forderung nicht aus, weil sie den Rest des Jahres doch eher wenig gemeinsame Liebe …

MIT ZWEI WOLLDECKEN IM KELLER

IN DIE KURZZEITÜBERNACHTUNG KOMMEN AUCH MÄNNER NACH AKUTEM WOHNUNGSVERLUST. Erwin Dietrich kann heute Abend endlich wieder in einem
 Bett schlafen. In einem richtigen Bett. Mit Matratze. Bettdecke. Kopfkissen. In den vergangenen Nächten hatte er mit zwei Wolldecken vorlieb nehmen müssen. „Ich schlief in einem Keller“, sagt der 67-Jährige, der völlig mitgenommen aussieht. Seine Wangen sind eingefallen. Die Haut ist aschfahl. Er ist klapperdürr. Hat lange nichts Warmes mehr gegessen. Die Polizei hatte ihn in dem Keller aufgestöbert. Und zur Christophorus-Gesellschaft gebracht. Mit Geduld lässt Erwin Dietrich in der Kurzzeitübernachtung (KZÜ) alles über sich ergehen. Er beantwortet Fragen. Lässt sich einweisen. Man zeigt ihm sein Bett. Er erhält ein Handtuch. Darf sich duschen. In ihm selbst ist noch ein großes Durcheinander. Alles kommt ihm noch immer wie ein Albtraum vor. Die vielen Nächte im kalten Keller. Mit nur ganz wenig Nahrung. Nie war Erwin Dietrich vorher mit wohnungslosen Menschen in Kontakt gekommen. Den Namen „Christophorus-Gesellschaft“ hatte er zwar irgendwann schon mal gelesen. Aber nicht abgespeichert. Bisher war sein Dasein halbwegs in Ordnung gewesen. Er lebte vier …

ZUVIEL & ZUWENIG

Viel „Zuviel“ und doch viel „Zuwenig“ – die Generation der Fremde in der Nähe. Ich sitze an meinem Schreibtisch und möchte mich gerade konzentrieren, Max Webers Abhandlung über „soziale Gebilde“ zu folgen, als mein Nachbar just die Art von Musik aufdreht, welche meiner Konzentration nicht gerade förderlich ist. In diesem Moment frage ich mich schon, ob die Privatsphäre des Anderen denn auch Teil meiner Privatsphäre sein muss. Ich kann nicht immer selbst das Maß an Kommunikation bestimmen, welches mich umgibt. Das schränkt mich ein und nimmt mir einen Teil meiner Freiheit. Ähnlich verhält es sich mit den Beziehungen, in denen ich lebe, oder den Freundschaften, die ich ständig gegen andere Freundschaften austausche. Die digitalen Medien helfen uns, Beziehungen einzugehen und längst eingeschlafene Freundschaften wachzuküssen. Ist diese neue Art des Kontaktknüpfens ein nicht mehr wegzudenkendes Zeichen der Zeit oder das Ergebnis einer besorgniserregenden Entwicklung? Kommunizieren heißt: Jemandem etwas mitteilen, mit jemandem sprechen, aber auch jemanden an etwas teilhaben lassen. Lieber Nachbar, Du musst mich nicht dazu nötigen, Deine Lieblingsmusik zu hören! Manchmal wollen wir nicht „kommunizieren“, …

DAS ABC FÜR NEU-ELTERN

Das Baby ist da – und plötzlich ist alles anders. Aber was bedeutet es eigentlich Eltern zu sein? Julia Back, seit Juni Mama, hat darauf ihre ganz eigenen Antworten: von A bis Z. Ausschlafen: Was soll das bitte sein? Geht nicht mehr. Zumindest nicht für die Mama. Denn mein Baby hat viel Hunger und muss nachts alle zwei bis drei Stunden gestillt werden. Da der Papa dann gerne mit aufwacht, zieht er regelmäßig auf die Couch um. Ich freue mich aufs Fläschchen geben – denn dann wird der Spieß umgedreht! Bepper: Fränkisch für „Schnuller“ (zumindest laut dem Opa). Ist für uns lebensnotwendig. Denn egal, ob hungrig oder müde, mit dem Bepper im Mund lässt sich Geschrei meistens schon im Ansatz unterbinden. Chic sein: Mit zerzausten Haaren im Frotteebademantel und schreiendem Kind auf dem Arm dem Paketboten öffnen? Kein Klischee, sondern passiert mir leider ziemlich oft. Es gibt aber auch Tage, an denen ich es schaffe zu duschen und mich ordentlich anzuziehen. Von denen können es aber gerne noch mehr werden. Drama: Gibt es mit Baby …

AFGHANISTAN IST BERUFUNG UND RANDERSACKER IST HEIMAT

Anna-Maria und Dr. Peter Schwittek haben noch einmal Glück gehabt. „Das Erdbeben ist uns ganz schön in die Knochen gefahren“, sagt der Randersackerer. Das Haus mit dem Büro ihrer Hilfsorganisation in Kabul wurde zum Glück nicht beschädigt. „Man ist dem Naturereignis ja ganz und gar ausgesetzt“, bemerkt der promovierte Mathematiker. „Wenn die Erdstöße vorbei sind, fürchtet man immer, dass es gleich wieder von neuem losgeht.“ Ihre Mitarbeiter haben sich auf der Wiese vor dem Haus in Sicherheit gebracht. „Jeder versuchte natürlich, telefonischen Kontakt mit der Familie aufzunehmen, doch das Telefonnetz war überlastet“, ergänzt seine Frau Anna-Maria. Kollege Hekmats Haus, rund 40 Kilometer von der afghanischen Hauptstadt entfernt, sei teilweise eingestürzt. „Hoffentlich schaffe ich es, noch vor dem ersten Frost eine Unterkunft für meine Familie zu finden“, sagt er, der vor ein paar Jahren mit Schwitteks in Randersacker wohnte, während seine Tochter in München operiert wurde. „Ich bekam einen Kinderwagen geliehen und bin immer am Main spazieren gegangen“, erinnert er sich. Zum Glück sind Schwitteks Schützlinge wohlauf. Die Kinder und Jugendlichen besuchen das Schulprogramm von Schwitteks …

SMAUL LARRSON – VERBLENDUNG

1967 wurde am Würzburger Dallenberg im Stadtteil 
 Heidingsfeld das Stadion der Würzburger Kickers eröffnet. Bereits 2014, also 47 Jahre später, regt sich unter den lieben Nachbarn dort erbitterter Widerstand. Ein greller Rückblick auf Flutlicht-Inferno, unglaubliche Machenschaften, Horden einfallender Wildpinkler und auf ein halbes Jahrhundert Würzburger Fußballgeschichte. 1967 BIS 2012 – HIMMLISCHE RUHE FÜR DIE HIGH SOCIETY Die Kickers. So viele Jahrzehnte nach ihrem Kurzauftritt in der zweiten Fußball-Bundesliga während der Saison 1977/ 78 blieb es ruhig im und ums Stadion. Vereinzelte verbissene Anhänger der Rothosen verloren sich im weiten Rund des Stadions, das ursprünglich mal für 14.500 Zuschauer konzipiert worden war. Sie sahen, wie der Rasen verdorrte, der blaue Lokalrivale Würzburger FV meist eine Liga höher spielte und wie sich ihr Verein Anfang der 2000er-Jahre – fast insolvent – auflöste. Jeder Zuschauer hatte so viel Platz, dass er beispielsweise als 1,5 Quadratmeter große, platte weiße Rautenfläche auf den weiten Rängen hätte sitzen können. Den größten Lärm verursachten in diesen Jahren sicher nicht die Fußballfans. Es gab höchstens mal Lärm, wenn die stinkreichen Dallenberger mit Jagdgewehren …