EDITORIAL, NACHBARN

WEIN UND BIER DAS RAT ICH DIR

Es ist ein kalter Wintertag. Mein Smartphone klingelt, ein
 Freund ruft an. Ich solle doch mal wieder nach Würzburg kommen, ihn besuchen. Ich könnte Karten haben für ein Handballspiel der Rimparer Wölfe. Am nächsten Tag wäre ich VIP-Gast bei den Würzburger Kickers, anschließend könnten wir noch feiern gehen, stünden überall auf der Gästeliste. Wo jeder andere vermutlich sofort zusagen würde, atme ich erst einmal tief durch. Ich war schon mal dort – in Würzburg. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es die Wochenenden in Spice-Castle in sich haben können. Motto: Wein und Bier, das rat ich Dir. Reihenfolge? Völlig egal. Nach meinem letzten Besuch in der Großraumkneipe Würzburg hätten sie mir in der Betty-Ford-Entzugs-Klinik in den USA vermutlich die Präsidenten-Suite angeboten. Also sage ich zu.

Überflüssig wie grüne Paprika
48 Stunden später steige ich am Würzburger Bahnhof aus. Vorbei an Verkaufs-Pavillons, deren Ästhetik selbst in Chemnitz für Nasenrümpfen sorgen würde, bahne ich mir den Weg zum Taxi-Stand. Neben mir warten Menschen, die sich lautstark unterhalten – in einer Sprache, die ich nicht identifizieren kann. „Ah, sicher Flüchtlinge“, denke ich und grüße herzlich. Doch es ist lediglich Fränkisch. Oder wie sie es nennen: Frängisch. Der Buchstabe „k“ ist hier eigentlich so überflüssig wie die grüne Paprika in einer Paprika-Ampel. Oder Ampeln in Grand Theft Auto V. Für einen NRW’ler klingen hier übrigens alle nach dem jungen Lothar Matthäus. Mein Taxifahrer, der mich zu meinen Kumpels bringt, spricht eher wie eine Ehefrau von Lothar Matthäus. Also osteuropäisch. Bei meinen Freunden angekommen, bleiben mir zwei Minuten zum Umziehen, schließlich wollen wir – wie bereits erwähnt – das Handball-Spiel der Wölfe anschauen. Es wird sehr viel Bier getrunken. Das sei meine Pflicht, wird mir gesagt. Trotz unserer lautstarken Unterstützung verliert Rimpar das Spiel deutlich. Ich verliere auch. Zumindest immer mehr an Gleichgewicht. Nach der Anzahl an Hopfen-Smoothies, die ich hier in den 60 Minuten trinken muss, ist das auch kein Wunder. Das gehöre eben dazu, schallt es mir am Getränkestand immer wieder entgegen.

Beschwerliches Humorverständnis
Der Stimmung schadet die Niederlage an diesem Abend übrigens nur temporär. Nach dem Spiel schwanken wir in eine Bar in der Innenstadt. Das sei der „Place to be“, sagen sie mir. Wie die Kneipe heißt, weiß ich nicht. Zur Toilette geht es aber eine Wendeltreppe hinunter. Das weiß ich immerhin, da es mir nach dem vierten Hellen immer schwieriger fällt, den Abstieg zum Basis-Camp zu meistern. Meine Getränkewahl verändere ich daraufhin. Vielleicht kann ich ja mit Weißbier das Tempo der Einheimischen mithalten. Was für eine absurde Idee. Meine Wahl fällt auf „Keiler“-Bier – local und so. „Ein Keiler, bitte. Keiler macht geiler“, sage ich sichtlich angeduselt und völlig unpassend zur durchaus hübschen Barkeeperin. Ich will nicht sagen, dass sie mich daraufhin aggressiv anschaut, aber ihr Funkeln erinnert mich doch verdächtig an die Blicke, die sich Boxer auf einer Pressekonferenz nach dem Wiegen zuwerfen. Nur in böse. Beim Flirten sind wir scheinbar nicht auf einer Wellenlänge, Franken und Nordrhein-Westfalen. Fürwahr, das spricht für die Franken. Wenige Augenblicke später versuche ich es erneut und bestelle: „Zwei Prosecco bitte.“ Sie: „Sansibar?“ Ich: „Nein, gerne mit Karte.“ Notiz an mich: Auch mein Humor kommt in Franken eher beschwerlich an.

Kopf off, Ode on
Eine Stunde später stehe ich mit meinen Jungs im Club Odeon. Hier kommt die ganze Pracht der kleinen Studentenstadt zum Vorschein. Ich will nicht direkt sagen, dass die Mädels hübsch sind – aber Hugh Heffner würde bei dem Anblick hysterisch nach seinen blauen Pillen suchen und sich reflexartig den Bademantel überschmeißen. Leider sehen wir selbst mittlerweile aus wie eine Karl-Dall-Spezialeinheit. Alle Augen auf Halbmast. Nach einem Pensum, vor dem sogar Harald Juhnke seinen Hut gezogen hätte, ist das auch nicht weiter verwunderlich. Aber das tut dem Selbstbewusstsein in diesem Stadium natürlich keinen Abbruch. Wie sagte schon der russische Philosoph Wodka Gorbatschow: „Trust me you look great and you can dance.“ Neben totalen Normalos und angehornbrillten Hipstern, aber auch versegelschuhten Jung-Erben, laufenden Ralph-Lauren-Kollektionen, sprechenden Moncler-Westen und dünnarmigen Moet-Chandon-Nippern, die mehr Gel im Haar tragen als der junge Kai Diekmann vor seiner kalifornischen Silicon-Valley-Läuterung, verbringen wir eine wunderbare Partynacht in Schotter Island. Details darf ich nicht aufschreiben, klar. Nach vier Stunden verlassen wir den Club. Ich habe Hunger. Den verliere ich aber schnell, als ich die Schlange vor dem Döner-Laden sehe, der sich ganz in der Nähe befindet. Im Vergleich zu der Menschentraube beim Dönermann ist bei Ikea im Kassenbereich am Samstagnachmittag nichts los. Scheint dort also lecker zu sein, ich werde es aber nie erfahren. Verdammt, einen Party-Abend ohne Döner zu beenden ist wie ein Wellness-Urlaub in Cala Ratjada – einfach falsch.
Stattdessen lasse ich mich in den Sitz einer Taxi-Limousine fallen und fahre mit den anderen nach Hause, denn morgen würden wir ja erst richtig feiern gehen. Diese Nacht sei nur das Warm-up gewesen. Warm-up. Die sind doch irre hier. Ich schaue auf die Uhr. Es ist sieben. Mir wird übel. Würgburg, denke ich.

Nicht mal Nowitzki kann mithalten
Mir wurde Frühstück versprochen. Nun stehe ich aber auf der Mainbrücke und bekomme den dritten Weißwein in die Hand gedrückt. Das mache man hier so. Einem Fluss beim Fließen zuschauen und Alkohol trinken. Überall sind Japaner und knipsen Fotos. Es fühlt sich an, als sei ich wieder in Köln. Der Main hat bestimmt 4,8 Prozent Alkohol-Gehalt, wenn er Würzburg verlässt, denke ich, während ich den reißenden Strom bestaune.
Der Wein auf der Brücke wird übrigens aus Flaschen ausgeschenkt, die aussehen wie die Figur einer adipösen Mittvierzigerin nach den Weihnachtstagen. Schmecken tut er trotzdem ganz hervorragend. Die Brücke ist wunderschön, keine Frage. Der herrliche Blick nach rechts auf die Festung Marienburg, das Wahrzeichen der Stadt, ist atemberaubend. Sie sind so stolz auf dieses Gebäude, die Würzburger. Nicht mal Dirk Nowitzki kann da mithalten. Obwohl er ähnlich groß und vermutlich dreimal soviel wert ist. Schaut man nach links, blickt man auf die Innenstadt. Von der Dachterrasse des Kaufhauses kann man auf der Brücke übrigens eine wunderbare Laola-Welle anzetteln. Für Sie getestet. Nach dem fünften Weißwein.

Back to the roots
Wir müssen schon wieder weiter, haben schließlich Karten für die Kickers. Angekommen im VIP-Bereich, nehme ich in einem Strandkorb Platz. Die sind wichtig in Bayern, das weiß man. Ich beobachte die High-Society der Stadt. Bachelor-Kandidaten der kommenden Staffeln und dünne Deko-Mädels, die man mit zwei Teelichtern röntgen könnte, prosten sich mit Sansibar-Flöten zu. So stellt man sich Drittliga-Fußball doch vor. Back to the roots. Das Spiel ist fürchterlich. 0:0 geht es aus. Trotz des Franken-Hulks und Magath-Hilfssheriffs auf der Trainerbank: Bernd Hollerbach, bei dessen Anblick ich beinahe reflexartig zu 100 Liegestütz ansetze und nur darauf warte, irgendwas mit einem Medizinball machen zu müssen. Ich mag den Kerl. Und den Verein auch. Trotz der quälenden 90 Minuten.

Wir verlassen das Stadion und fahren mit dem Taxi zurück in die Innenstadt. Ziel: ein Kuchenladen in einer kleinen Gasse. Ich solle hier unbedingt essen, wird mir erneut befohlen. Nach zwei Stück Oreo-Torte und den Bieren zuvor ist mein Insulin-Spiegel so verwirrt wie Thorsten Legat beim Buchstabier-Wettbwerb. Spätestens am Montag bekomme ich Diabetes „Typus drölf“ diagnostiziert, bin ich mir sicher – und verabschiede mich gedanklich schon mal von meinen Beinen.

Ob es nach dem Torten-Bukkake weiter an die Theken der Stadt geht? Der Alpecin-Laborant aus der Werbung würde sagen: „In der Tat!“. Es folgt Location-Hopping wie in besten Berlin-Mitte-Nächten. Wir bringen erneut Bars, Clubs und eine weitere Partynacht hinter uns. Ich mag diese Stadt. Wieder ereilt uns in den frühen Morgenstunden der Hunger. Der Dönermann hat zu. Ich werde zu einem Bäcker geschleift, der sei in Würzburg ohnehin Kult und versorge schon seit Jahren in den frühen Morgenstunden das tanzende Volk. Ich solle Eier im Glas bestellen. Eier im Glas. Was so klingt wie ein Pornofilm aus den Achtzigern, ist eine Spezialität des Hauses. Sie schmecken wirklich hervorragend. Für einen Außenstehenden ein absurder kulinarischer Abschluss, aber was soll’s. Ich schaue mich um: Ganz dicht ist hier keiner. Obwohl, um diese Uhrzeit schon.

Am nächsten Morgen schaue ich den Spiegel. Ich sehe aus wie das Mädchen aus dem Film „The Ring“. „Ach du Scheiße“, sage ich. Also nicht ich sage das, sondern eine Stimm-Mischung aus Scar, dem Onkel von Simba aus „Der König der Löwen“ und Martin Semmelrogge. „Würzburg, es ist wieder passiert.“ Hangover I bis III sind nichts gegen diese Wochenenden hier.
Später sitze ich im Zug und fahre zurück Richtung Norden. Kopfschmerzen und Müdigkeit plagen mein Dasein. Vielleicht wechsle ich meine Nummer, dann können sie mich nicht mehr einladen, denke ich. Aber dann sähe ich ja diese wunderschöne Stadt nicht mehr und ihre coolen, herzlichen Menschen. Menschen, die die Nächte in Würzburg eigentlich unvergesslich machen würden, würden wir aufgrund der Nächte in Würzburg nicht alles vergessen. Ich bin nicht naiv. Ich komme sowieso wieder. Ich mag Würzburg. Jeder mag Würzburg. Bis bald.

Tommi Schmitt ist 27 Jahre alt, Student, Satiriker und Comedy-Autor für diverse TV-Formate und Comedians. Auf seiner Facebook-Seite „Amüsieren mit Tommi Schmitt“ beschreibt er täglich unterhaltsam die Absurditäten des Alltags.

Text: Tommi Schmitt; Foto: Tommi Selfi