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EMPIRE STATE OF MINE

Mein Name ist Anne Riegler. Ich bin 25 Jahre alt, komme ursprünglich aus Engelskirchen in Nordrhein-Westfalen und bin am 1. August 2015 von Würzburg nach Manhattan, New York City, ausgewandert. Dort studiere ich im Hauptfach Klavier auf Master am Mannes College, das zur Universität „The New School“ gehört.

WARUM BIST DU AUSGEWANDERT?
Ich habe vor drei Jahren schon einmal im Ausland studiert – genauer gesagt in St. Petersburg und fand diese Erfahrung so spannend und bereichernd, dass ich das unbedingt wiederholen wollte. Ich denke, so etwas geht einfach während des Studiums einfacher als im späteren Berufsleben, wenn man vielleicht schon Familie hat. Nach New York City bin ich deshalb gekommen, weil mein Professor mich eingeladen hat – und weil New York einfach New York ist. Da muss man eigentlich nicht viel mehr erklären.

WILLST DU IRGENDWANN WIEDER NACH WÜRZBURG ZURÜCK? 
Das hängt ganz von den Möglichkeiten ab, die sich mir in NYC, in Würzburg oder anderswo bieten. Grundsätzlich bin ich dem aber nicht abgeneigt. Für mich ist kaum eine andere Stadt so hübsch und angenehm wie Würzburg.

WAS IST DAS BESONDERE AN DEINEM NEUEN WOHNORT?
Die Vielfalt. Das gilt für so gut wie alle Bereiche. Schon die Menschen sind viel vielfältiger, als ich das aus Würzburg kenne: Größe, Körperform, Typ, Style – auch jede erdenkliche Hautfarbe ist hier in einer Häufigkeit vertreten, dass niemand als „anders“ auffällt. Es gibt Frauen mit Glatze und Männer mit lang geflochtenen Zöpfen, alle möglichen und unmöglichen Kleidungsstile, sichtbare und unsichtbare Religionen. Man kann offenbar wirklich so sein, wie man sein möchte, ohne angestarrt zu werden. Das finde ich sehr schön. Abgesehen davon kann man sich sicherlich ein Leben lang in New York beschäftigen, ohne dass es langweilig wird – vorausgesetzt, man hat das nötige Kleingeld.

WELCHE PROBLEME HAT DIR DAS AUSWANDERN BEREITET? 
Das vergangene Jahr war wahnsinnig vollgepackt und ziemlich anstrengend für mich, weil so viel gleichzeitig auf dem Plan stand: Diplomarbeit schreiben, meinen Abschluss machen, Konzerte spielen, bewerben, mein Auslandsstudium und meine Abwesenheit in Deutschland organisieren und und und. Die bürokratischen Hürden haben mich manchmal nah an den Rand der Verzweiflung gebracht. Man kann sich wirklich kaum vorstellen, wie viel Papierkram und Arbeit hinter so einem Vorhaben stecken, wenn man das selbst nicht erlebt hat. Heute bin ich froh und dankbar, dass ich nun tatsächlich hier angekommen bin und alles so gut geklappt hat.

UND WAS SIND DIE GRÖßTEN FREUDEN, DIE DIR DEINE NEUE HEIMAT BISLANG BEREITET HAT?
Es ist sehr spannend, eine so berühmte Stadt zu erkunden, die man sonst nur aus Büchern, Songs oder Filmen kennt. Wirklich beeindruckend fand ich auch die sogenannte Orientation Week an meiner neuen Uni. Man wird von allen Seiten bestens aufgeklärt und bekommt direkte Ansprechpartner. „International students“ werden dabei besonders ausführlich informiert und herzlich mit offenen Armen empfangen. Es gibt kostenloses Essen, die Menschen sind geduldig und alles ist super organisiert. Natürlich hat das auch seinen Preis. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Studiengebühren in den USA astronomisch sind.

WAS IST DEIN LIEBLINGSPLATZ IN DEINER NEUEN HEIMAT?
Um einen echten Lieblingsplatz zu haben, wohne ich noch nicht lange genug hier. Aber ich mag meinen Weg zur Uni schon ziemlich gern – er führt von Harlem über die U-Bahn bis zum Union Square, von wo aus ich zum Unigebäude an der Fifth Avenue laufe. Die Aus- bzw. Einblicke in die kilometerlangen Häuserschluchten, die sich mir links und rechts bieten, wenn ich die Straßen überquere … einfach nur: wow!

WAS SOLLTE ÜBERALL SO LECKER SCHMECKEN WIE HIER?
Ehrlich gesagt habe ich hier noch nichts entdeckt, was ich in Deutschland nicht auch bekäme oder wozu es bei uns nicht tolle Alternativen gäbe. Eher im Gegenteil: Ich vermisse hier anständige Kekse und Schokolade. Wenn ich das nächste Mal in Deutschland bin, muss ich mir zumindest von Letzteren einen ordentlichen Vorrat mitbringen.

WAS IST BESONDERS SPANNEND AN DEINEM NEUEN WOHNORT?
Im Moment ist noch fast alles spannend: die Menschen, die Uni, die Häuser, die Parks, die Geschäfte, die Transportmittel … Ich fange ja gerade erst an, New York und seine Bewohner zu erforschen. Darüber hinaus finde natürlich die berüchtigte „Kulturlandschaft“ interessant, all die verschiedenen Museen und Konzerte. Und spannend wird es vor allem, auch herauszufinden, wie ich da an bezahlbare Tickets gelangen kann. Denn für die Carnegie Hall oder den Broadway kann ich mir nicht jede Woche eine reguläre Karte leisten. Aber als Musikstudent wird es sicher entsprechende Möglichkeiten geben.

WAS VERMISST DU BESONDERS AN WÜRZBURG UND WAS TUST DU DAGEGEN?
Ich vermisse die Stille. New York ist mit Abstand der lauteste Ort, an dem ich jemals gewesen bin. Mir fehlt auch die räumliche Nähe in Würzburg – überall mit dem Fahrrad hinfahren zu können. Ich vermisse es, einfach draußen auf einer Bank oder im Park zu sitzen, ohne dafür extra irgendwohin fahren zu müssen. Und: New York ist eindeutig schmutziger als Würzburg, viele Häuser sehen weniger gepflegt aus. Zum Thema Heimweh: Richtiges Heimweh hatte ich bisher glaube ich noch nie in meinem Leben. Ansonsten hilft bestimmt Schokolade.

AN WELCHE ORTE IN WÜRZBURG ERINNERST DU DICH AM LIEBSTEN? 
An die schöne Altstadt mit Fußgängerzone, ihre kleinen, bunten Häuser und die generelle architektonische Schönheit. An die Residenz, die Festung, die vielen Kirchen – und auch an die Parks sowie die Weinberge, das sind die Dinge, die Würzburg für mich so besonders machen. Klar, New York ist architektonisch auch wunderschön und einzigartig, keine Frage. Und Würzburg liegt natürlich leider nicht am Meer.

WAS KANN WÜRZBURG VON DEINEM NEUEN WOHNORT LERNEN – UND UMGEKEHRT?
Die Stadt New York könnte ein paar mehr Parkbänke an der Straße aufstellen, man kann sich kaum irgendwo hinsetzen. Und ganz wichtig: Die Klimaanlagen bitte nicht immer auf 15 Grad einstellen. Erst erfriere ich fast im öffentlichen Gebäude, dann fühle ich mich wie im Backofen, wenn ich es wieder verlasse und mich draußen 35 Grad bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit erwarten. Achja, und es wäre wirklich Zeit, sich mit den ganzen Strecken- und Gewichts-Einheiten dem Rest der Welt anzupassen. In New York gibt es dafür kostenlose Fahrräder, mit denen man in der Stadt herumfahren kann, das finde ich klasse. Außerdem sind die Menschen offener und wirken im alltäglichen Umgang manchmal freundlicher. Typisch amerikanisch eben, das hat bestimmt seine Vor- und Nachteile. Aber im Alltag, besonders im Umgang mit fremden Menschen und als Ausländer, finde ich es angenehm und unkompliziert. Obwohl ich mit der Verständigung keine Probleme habe und New York sehr international ist, bin ich hier weniger selbstbewusst und sicher als in Deutschland. Da bedeutet es mir besonders viel, freundlich behandelt und ernstgenommen zu werden. Wenn ich mir vorstelle, ich könnte kein Englisch, wäre in meiner persönlichen Situation orientierungslos und würde dazu noch behandelt, als wäre ich nicht willkommen – so wie es in Europa im Moment vielen Menschen geht –, das wäre wirklich furchtbar. Man kann sich nicht vorstellen, wie viel einem das ausmacht, wenn man es nicht erlebt. Ich wünsche jedem Menschen in jedem fremden Land, dass er dort willkommen geheißen wird.

FÜR TOURISTEN: WELCHEN ORT SOLLTE MAN IN DEINER NEUEN HEIMAT UNBEDINGT MEIDEN UND WELCHEN UNBEDINGT BESUCHEN? 
Meiden – vermutlich den Central Park bei Nacht. Auf der Straße und in der U-Bahn fühle ich mich nachts aber sicher. Man muss, wie überall, einfach wachsam sein, was um einen herum geschieht. Unbedingt besuchen: Ich habe ja längst noch nicht alles gesehen, was sehenswert ist, aber um mal ein paar kostenlose Dinge und Orte zu nennen: Times Square, Union Square, Fifth Avenue, Central Park, die High Line (eine alte Hochbahn, auf deren Strecke jetzt ein kilometerlanger Park zum Spazierengehen einlädt), das 9/11-Memorial (sehr beeindruckender Ort), die Brooklyn Bridge, die Freiheitsstatue. Ich würde auch eine Broadway-Show empfehlen, einen Cheese Cake im „Carnegie Deli“ und bestimmt das eine oder andere Museum. Und, falls es sich anbietet, natürlich ein Konzert am Mannes College! In diesem Fall: Bitte melden!
Text: Sabine Brummer Auf www.anneriegler.com findet Ihr einen Blog, auf dem Anne unter anderem über ihr Studium und ihre Zeit in New York berichtet.