LECKER & HIER, NACHBARN

Wenig Schein, viel Sein

Über menschliche Größe in einer kleinen Kantine

Art. 147 GG hält unmissverständlich fest: „Der deutsche Morgen ist von jeglicher Fröhlichkeit freizuhalten.“ Oh würde nur jeder Artikel des Grundgesetzes so eisern befolgt!

Sogar jene wenigen verirrten Subjekte, die ab und an versehentlich mit dem rechten Fuß aufstehen, können auf die Hilfe ihrer regeltreuen Mitbürger zählen; schließlich gewährleisten diese mit deutscher Zuverlässigkeit, dass sich auf dem Arbeitsweg selbst der kleinste Anflug guter Laune schleunigst wieder in Luft auflöst. Die Bandbreite reicht dabei von der Strategie „Weihwasserkessel 4.0“ (in Bus oder Bahn mit vorgeschobenem Unterkiefer möglichst dämlich auf ein Smartphone glotzen) bis hin zum ho(h)lis-tischen Ansatz (freundliche Blicke mit dermaßen hohlen Gesichtsausdrücken quittieren, dass selbst ein scheinbar hübsches Antlitz binnen Sekunden die Faszination eines silbernen Golf VI Trendline ausstrahlt. Auf Stahlfelgen!).

Sie müssten es nicht …

So weit, so schlecht. Jedenfalls lag ein ebensolcher Morgen gerade wieder hinter mir, als ich mittags erstmalig die Kantine des Finanzamts Würzburg in der Ludwigstraße betrat. Übellaunig bzw. überdrüssig des ewig gleichen Pizzalasagneveggiehummusstampfdönerasianudelreiseinerleis und frei nach dem Motto: ‚Jetz is‘ a scho wurscht‘ betrat ich den Raum, der es in Sachen Ästhetik durchaus mit oben genannten Buspassagieren aufnimmt. Und doch war ich kurz darauf regelrecht baff: Da ging es doch glatt freundlich zu. Das begann schon beim Koch, der mich mit einem Lächeln begrüßte, und setzte sich nahtlos bei den beiden unglaublich sympathischen Damen an Essensausgabe und Kasse sowie beim ebenfalls höchst freundlichen jungen Küchengehilfen bei der Tablettrückgabe fort. Spontan hob sich der Launepegel von -10 auf 40 – und das mit Unterzucker! Respekt. Und als ob dem noch nicht genug gewesen wäre, setzte sich der Launen-Höhenflug beim Genuss des Krustenbratens nahtlos fort. Das Fleisch auf den Punkt, die Soße ein Traum und frei von jedem Päckleverdacht, die Klöße von optimaler Konsistenz … mein lieber Herr Gesangsverein! Zugegeben, die spontan einsetzende Reue für so manchen Zwanziger, den ich in irgendwelchen hochgehypten Hipsterklitschen für das Gleiche in wesentlich schlechterer Qualität gelassen hatte, drückte schon kurz aufs Gemüt; nichtsdestotrotz obsiegte die Freude über diese Entdeckung letztlich haushoch – und riss mich zu einem spontanen Kompliment ans gesamte Küchenteam hin. Seitdem heißen die beiden Damen Jutta und Hilde, der Küchengehilfe Sebastian und der Koch nicht mehr Koch, sondern Jochen. Meine Mittagskumpels und ich freuen sich seitdem so gut wie jeden Vormittag aufs nächste Mittagessen (auch wenn’s natürlich nicht immer der Lieblingsbraten ist), plaudern, scherzen – und beschlossen spontan, dem Jochen und seinem Team einen Artikel zu widmen. Schließlich geht es hier um nichts weniger als eine (viel zu seltene) Form der „guten Nachbarschaft“, die uns die vier tagein tagaus vorleben.

… tun es aber

Umso bewundernswerter erscheint das, wenn man sich allein Jochens Geschichte anhört, die man wahrlich als bewegt bezeichnen kann. Nach der Lehre 1969 führten ihn seine Stationen von Nürnberg über Stuttgart und Frankfurt wieder nach Würzburg; da fallen Namen wie Fernsehturm, Zeil, Rebstock, Ratskeller, Feste Marienburg – aber da ist auch von Arbeitszeiten die Rede, die ein geregeltes Familienleben mit Ehefrau und zwei Kindern unmöglich mach(t)en. Es folgt die Scheidung – und es wird weiter malocht, bis Jochen schließlich Christine kennenlernt. Mit ihr zusammen betreibt er zunächst die Burg (heute Maiz), bevor sie in Zell das Schnatterloch übernehmen, das sich schon nach kurzer Zeit vor Gästen kaum noch retten kann. Doch dann folgt der nächste Schicksalsschlag: Christine stirbt an Krebs, von dem Jochen erst erfährt, als er nach einem plötzlichen Zusammenbruch den Notarzt rufen muss – so lange hatte sie eisern an seiner Seite geschuftet, als sei alles in bester Ordnung. Als er von dem kleinen Schutzengel erzählt, den sie ihm bevor sie ging noch heimlich unters Kopfkissen gelegt hatte, wird es kurz still im Raum – bis das Lächeln auf Jochens Gesicht zurückkehrt; immerhin hat der Schutzengel ganze Arbeit geleistet und verhindert, dass der Schmerz über diesen schlimmen Verlust und das damit verbundene abrupte Ende der Schnatterloch-Zeit ein allzu tiefes Loch in sein Leben reißen konnten: Dank der Empfehlung eines Freundes bot sich ihm die Chance, sein Talent in der Kantine des Finanzamts unter etwas menschlicheren Bedingungen als bei den vorherigen Stationen walten zu lassen. Und obwohl er es mit seinen 65 Jahren (ich dachte, ich höre nicht recht!) eigentlich gar nicht (mehr) müsste – er tut es: mit jedem sorgsam eingelegten Braten, jeder Soße, jedem Abschmecken, jedem selbstgemachten Kartoffelsalat – frei nach der Devise: „Wenn ma scho sei Bäggle mit sich rumschleppt, sollt’s Essen ned a no ausm Bäggle sei.“ Dass er mit Jutta, Hilde und Sebastian noch drei Menschen um sich hat, die auch den grantigsten Gast mit ihrer unverstellten Herzlichkeit zum Lächeln bringen, geht wohl ebenfalls ein bisschen aufs Konto des kleinen Schutzengels. Schließlich müssten sie das auch nicht – aber sie tun es einfach. Und das ist gut so. Denn was sie damit bei ihren Mitmenschen „anrichten“, zeigt sich neben den vielen zufriedenen Mienen nicht zuletzt an der ständig steigenden Gästezahl – die ja an sich schon Beleg genug ist, dass hier irgendwas ganz arg richtig läuft.

Unser Meister in seinem Element

Und so offenbart sich, abgesehen vom herrlichen Essen, ausgerechnet im kleinen Kosmos einer Kantine, was die Menschheit selbst im familienfreundlichsten Neubaugebiet oder dem smartesten Baugruppenprojekt allzu oft nicht auf die Kette bringt (von internationaler Politik ganz zu schweigen): Nachbarschaft ist, wenn man trotzdem lächelt. Alles andere ergibt sich von selbst – in unserer Kantin‘ hoffentlich noch möglichst lange (Art. 148 GG)!

Text: Christian Götz; Fotos: Nico Manger

Kochen mit Jochen

So manches Gericht aus Jochens Küche schmeckt wie bei Muttern – und bisweilen sogar besser. Sorry, Mama ;). Deshalb gibt’s ab sofort in loser Reihenfolge jeweils ein Lieblingsrezept unseres Lieblingskochs. Also weg mit’m Bäggle – und ran an den Herd!

 

 

 

 

 

 

Folge 1: Krustenbraten mit Semmelknödel und Bayrisch Kraut

Braten

Für 4 Personen
1 kg Krustenbraten, 1 Liter Brühe, 3 Zwiebeln, 1 Karotte, 150 g Sellerie, 1 TL Puderzucker,
1 EL Tomatenmark, Majoran, Kümmel, Lorbeerblatt, Salz, Pfeffer

Für 80 Personen (Man weiß ja nie!)
10 kg Krustenbraten, 15 Liter Brühe, 4kg Zwiebeln, 3kg Karotte, 2,5kg Sellerie, 250g Puderzucker, 1 Dose Tomatenmark, Mehr Majoran, Kümmel, Lorbeerblatt, Salz, Pfeffer 🙂

Zubereitung (Zeiten gelten für 4 Personen):
1. Backofen auf 130° C bis 150° C vorheizen und Brühe in einen Bräter gießen; den Braten auf der Schwartenseite hineinsetzen und 1 Stunde im Ofen garen.
2. Braten aus dem Bräter nehmen und Ofenhitze auf 180° C erhöhen; die Schwarte mit einem scharfen Messer im Abstand von etwa 1 cm mehrmals parallel und quer einschneiden, damit man den Braten am Ende schön portionieren kann.
Braten in den Ofen geben, bis sich eine schön-krosse Kruste bildet.
3. Zwiebeln, Karotten und Sellerie putzen, in Würfel schneiden und bei mittlerer Temperatur erhitzen. Den Puderzucker in separatem Topf hell karamellisieren – dann Gemüse und Tomatenmark hinzugeben und das Ganze andünsten.
4. Mit Majoran, Kümmel, Lorbeerblatt, Salz und Pfeffer abschmecken und dann mit Brühe aus dem Bräter zusammengeben. Die Soße nach Belieben etwas einkochen lassen.

Semmelknödel

Für 4 Personen
8 altbackene Brötchen, ¼ Liter Milch, Salz, Pfeffer, Muskatnuss

Für 80 Personen:
6kg altbackene Brötchen, ca. 8 Liter Milch, Mehr Salz, Pfeffer, Muskatnuss 🙂

Zubereitung
1. Brötchen in dünne Scheiben schneiden.
2. Milch aufkochen, Eier verquirlen und unterrühren und mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss würzen.
3. Die Eiermilch über die Brötchenscheiben gießen, Petersilie hinzufügen und alles mit den Händen zu einer kompakten Masse verkneten; diese dann zugedeckt etwa 20 Minuten ziehen lassen.
4. Knödel formen und 15 – 20 Minuten gar ziehen lassen (Wasser darf nicht sieden!).

Bayrisch Kraut

Für 4 Personen
Ca. 600 g Weißkohl, ¼ Liter Fleischbrühe, Salz, Kümmel

Für 80 Personen:
10-12kg Weißkohl, 3 Liter Fleischbrühe, Mehr Salz, Kümmel 🙂

Zubereitung
1. Weißkohl zunächst in Viertel und diese dann wiederum in circa 0,5 cm große Würfel schneiden.
Mit Salz und Kümmel würzen.
2. Einen großen Topf mit Fleischbrühe ansetzen, Weißkohl hineingeben und 40-50 Minuten dampfen.

Fotos:  Nico Manger – Würzburg www.nico-manger.de