Pastellkreide, glatte Straßen und ein kleiner Schwamm: Mehr braucht es nicht, um Marcel Heinzelmann glücklich zu machen. Seit mittlerweile 15 Jahren zeichnet der Straßenmaler seine Kunstwerke auf den Würzburger Asphalt. Ob Sommer oder Winter, der gebürtige Rheinländer malt zu jeder Jahreszeit – solange das Wetter mitspielt.
Straßenromantik
Als der frühere Straßenmaler Markus Westendorf, heute Würzburger Stadtgrafiker, Marcel einst in unsere Main-Metropole einlud, ahnte dieser noch nicht, dass hier bald seine neue Heimat sein würde. Heute ist die Frau, die er bei diesem Besuch kennenlernte und wegen der es den Künstler mit dem Federhut 2001 von Köln nach Würzburg verschlug, seine größte Kritikerin: „Manchmal mischt sie sich zu arg ein, das nervt dann schon und ist nicht so einfach“, erzählt Marcel. „Aber es hält unsere Beziehung auch in einer gewissen schönen Spannung“, fügt er schmunzelnd hinzu.
Horizontales Gewerbe
Die Malerei begleitet Marcel schon, seit er denken kann – Kunst ist seine große Leidenschaft. Zwar startete er nach dem Abitur zunächst eine Lehre als Industriekaufmann. „Ich merkte aber schnell, dass das nicht mein Ding ist“, erinnert er sich. Grund genug für ihn, nach seiner Ausbildung kurzerhand das Hobby zum Beruf zu machen. Marcel fertigte Wandgemälde für Restaurants an, bis er den Kölner Straßenmaler Freddy kennenlernte; von diesem inspiriert begann Marcel selbst Asphaltbilder zu malen. „Am Anfang gelang mir das mehr schlecht als recht“, verrät er uns. „An der Wand hat man ein Bild horizontal vor sich, auf der Straße sind das ganz andere Proportionen.“
Die Kunst, von der Kunst zu leben
Der direkte Kontakt zu den Leuten ist dem Künstler unglaublich wichtig: „Letztlich ist es das, was die Straßenmalerei für mich ausmacht.“ Ganz abgesehen davon, dass man mit dem Asphaltmalen ohnehin nicht reich wird. „Es kommt durchaus vor, dass man nur 30 Euro verdient – das rechnet sich nicht mal für die Kreide“, betont der Künstler. Daher nimmt er auch heute noch Auftragsarbeiten an, die mittlerweile in zahlreichen Gaststätten die Wände zieren.
Zwischen Jedi-Kämpfern und Altkanzlern
Der Anspruch, den Marcel an sich selbst stellt, ist hoch: Gut ist dem Künstler meist nicht gut genug: Doch ist ein Straßenbild in seinen Augen gelungen, blickt er durchaus stolz auf das von ihm geschaffene Werk. Besonders zufrieden ist der bekennende Star-Wars-Fan mit seinem Jedi-Projekt sowie dem Porträt von Helmut Schmidt: „Als ich damals Schmidt gemalt habe, gab das eine unglaubliche Resonanz unter den Leuten.“ Er wollte einen starken Mann mit Power malen – das hat er geschafft. Projekte oder Personen, die Marcel nicht mag, zeichnet er nicht. So lehnte er beispielsweise einen Gemäldeauftrag für einen SM-Keller dankend ab: „Gefesselte Leute in Ketten – damit hab ich’s nicht so, das ist nicht meine Welt.“
Das Abendmahl der Madonnari
So bescheiden Marcel ist – wenn er auf seine vielen Preise zu sprechen kommt, schwingt durchaus ein gewisser Stolz in seiner Stimme mit; man sollte wohl ergänzen: berechtigter Stolz. Mehrfach hat er bereits deutsche Straßenmalwettbewerbe für sich entschieden, unter anderem im nordrhein-westfälischen Geldern. Doch auch auf internationaler Ebene ist Marcel kein Unbekannter mehr: So war er bereits mehrfach beim bedeutendsten Treffen der Straßenmaler mit von der Partie, das im norditalienischen Grazie di Curtatone bei Mantua stattfindet. Jedes Jahr treffen sich dort an Mariä Himmelfahrt die 200 besten Straßenmaler aus ganz Europa – die „Madonnari“ – zu einem riesigen Wettbewerb. Zugelassen sind ausschließlich religiöse Motive. Auch hier ging Marcel bereits zwei Mal als Gewinner hervor. Eines seiner Siegermotive war das „Abendmahl der Straßenkünstler“, bei dem er den Aposteln die Gesichter befreundeter Straßenmaler gab.
Humor statt Herzinfarkt
Marcel freut sich darüber, dass die Würzburger Passanten seine Kunst respektieren und in der Regel nicht über seine Straßenbilder laufen. „Wenn es doch mal vorkommt, ist es meist ein Kind oder jemand, der wieder nur in sein Handy schaut“, erklärt er uns. Der Rheinländer nimmt es aber mittlerweile mit Humor: „Früher hat mich das oft ganz schön geärgert, doch wenn ich mich heute noch jedesmal darüber aufregen würde, hätte ich wohl schon längst einen Herzkasper“, sagt er und lacht. Früher ist Marcel durch ganz Europa gereist. Seine Kunstwerke schmückten bereits Straßen in Spanien, Italien und vielen weiteren Ländern – bis der nächste Regenschauer die Bilder wieder wegschwemmte. Heute bemalt er nur noch Würzburger Gehwege, meist in der Schönbornstraße. Und hier genießt er Narrenfreiheit, wie er es selbst nennt. Die Ordnungshüter begrüßen ihn mit Handschlag und akzeptieren die Asphaltbilder. „An dem Tag, an dem ich Geld dafür bezahlen muss, dass ich auf der Straße male, habe ich mein letztes Bild in Würzburg gemalt“, erklärt uns der Maler.
… und zwar noch lange!
Ans Aufhören denkt der Asphaltkünstler allerdings noch lange nicht – wenn er auch gewisse Abstriche machen muss: So lange und so schnell wie noch vor 20 Jahren kann er heute – mit fast 62 – seine Kunstwerke natürlich nicht mehr auf den Würzburger Asphalt zaubern. „Aber Gott sei Dank bin ich mit einer ziemlich robusten Gesundheit ausgestattet und habe weder Knieprobleme noch Rückenbeschwerden“, freut sich Marcel, der je nach Wetter fünf bis acht Tage im Monat auf der Straße malt.
Text: Sabrina Muth; Fotos: Dominik ZIegler