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Heiligs Blechle

Ein grüner Oberbürgermeister – haben da nicht die Schwaben das Patent drauf? Mal sehen! Denn mit dem 43-jährigen Martin Heilig steht in Würzburg schon der nächste Grünen-Kandidat für das höchste Verwaltungsamt der Stadt in den Startlöchern. Wichtigstes Wahlkampfthema: natürlich die Würzburger Blechlawinen – und wie man sie möglichst effektiv loswird.

Herr Heilig, … Martin bitte.
Alles klar, Martin: Die Grünen befinden sich ja zurzeit auf einem – natürlich CO2-freien – Höhenflug. Bei der Europawahl im Juni war Deine Partei mit über 31 Prozent stärkste Kraft in Würzburg und die Landtagswahl 2018 hat Euch mal eben ein DirektMANDAT beschert. Ist die Zeit in Würzburg also reif für einen grünen ob?

Da muss ich erstmal ein bisschen auf die Bremse treten. Kommunalwahlen sind schon noch eine ganz andere Sache als Landtags- oder Europawahlen; aber natürlich können wir nach den letzten Ergebnissen schon ziemlich optimistisch sein, dass das nächstes Jahr klappen könnte. Unterm Strich halte ich es aber wie mein Parteikollege Winfried Kretschmann: Man muss auf dem Teppich bleiben, auch wenn er fliegt.

Direkt gefragt: Was macht der aktuelle OB Christian Schuchardt aus Deiner Sicht gut – und was weniger gut?

Ehrlichgesagt ist es nicht mein Stil, hier jetzt jemanden öffentlich zu beurteilen oder gar an den Pranger zu stellen – aber ich denke, unerledigten Aufgabenwerden relativ schnell offensichtlich, wenn man mit offenen Augen durch die Stadt läuft.

Dann mal anders gefragt: Nenne uns doch einfach drei Themenbereiche, die Du in Würzburg konkret angehen möchtest.

Erstmal ganz klar den Klimaschutz. Spätestens seit dem letzten Dürresommer ist das Thema bei weiten Teilen der Bevölkerung angekommen – weil es seitdem eben endgültig nicht mehr als abstrakt, sondern als konkret und greifbar wahrgenommen wird. Zusätzlich haben wir in Würzburg die Kessellage – wenn wir die hohe Lebensqualität hier erhalten möchten, müssen wir endlich anpacken: Wir brauchen weniger Beton und viel mehr Grünflächen, die die Stadt in heißen Sommern runterkühlen. Schaut Euch doch bloß mal die Fußgängerzone in der Eichhornstraße an: Weitsichtige Planung geht anders. Sich da bei 35 Grad aufzuhalten macht wirklich keinen Spaß. Ein nächster Punkt in diesem Zusammenhang ist ist die energetische Sanierung von städtischen Gebäuden und die flächendeckende Ausstattung mit Photovoltaik. Im Grunde gibt es für Würzburg ja bereits ein Klimaschutzkonzept, aber ich habe das Gefühl, das verstaubt irgendwo im Regal. Es muss etwas passieren!

Das Gleiche gilt für das zweite Thema, das mir auf den Nägeln brennt: Politik sollte in Würzburg für alle Bevölkerungsteile gemacht werden – ob arm oder reich, alt oder jung. Wir haben beispielsweise aktuell keinen einzigen Studenten im Stadtrat; und wenn’s mal eine Bürgerwerkstatt gibt, dann passiert mit den Ergebnissen dasselbe wie beim Klimaschutzkonzept: Sie landen in irgendeiner Ablage und niemand kümmert sich mehr drum. Ich bin der Überzeugung: Wenn ich die Leute mitnehmen will, muss ich es ernst meinen und solche Veranstaltungen möglichst barrierefrei gestalten. Es ist ja auch nicht so, dass es hier an Optionen mangeln würde – Stichwort digitales Zeitalter: In einer baden-württembergischen Stadt gibt es zum Beispiel seit Kurzem eine App, über die man die Bürger zu einem bestimmten Thema befragen kann und so eine Art unkompliziertes Stimmungsbarometer erhält. Und das ist nur eine von vielen Möglichkeiten, die Bürger direkter ins politische Geschehen einzubeziehen.

Lass uns das dritte Thema kurz raten: Es geht um Verkehr!

Richtig geraten! Und um es gleich vorwegzu-nehmen: Ich will für Würzburg keine Pseudoveranstaltung, sondern eine echte Verkehrswende. In diesem Fall komm ich auch um das Wort nicht herum: Wir müssen hier radikal was ändern. Würzburg liegt bei den bayerischen Großstädten auf Platz 5 von 5 in puncto Fahrradfreundlichkeit – und unsere ÖPNV-Fahrgastzahlen sind im nationalen Vergleich katastrophal. Das liegt aber nicht an den Bürgern, sondern schlicht am mangelnden politischen Willen. Auch hier lohnt mal wieder der Blick ins „Ländle“: Mein Tübinger Parteikollege Boris Palmer hat es geschafft, seit seiner Wahl zum OB die Fahrgastzahlen um ein Drittel zu steigern. Das können wir auch, wenn es statt irgendwelcher Einzelmaßnahmen ein stimmiges Gesamtkonzept gibt.

Wäre da ein kostenloser ÖPNV was für unsere Stadt?

So etwas könnte ich mir – als Anfang – zum Beispiel immer samstags für Würzburg vorstellen. Die Erfahrungen in anderen Städten zeigen auch: Wenn man sowas startet, dauert es etwa ein Vierteljahr, bis sich die Leute daran gewöhnen. Aber sobald sie auf den Geschmack gekommen sind, nutzen sie Angebote wie diese völlig selbstverständ-lich und steigen dann auch an Wochentagen vermehrt auf Bus und Straba um. Natürlich muss alles irgendwie bezahlt werden, aber grundsätzlich darf es in Zukunft nicht attraktiver sein, mit dem Auto statt mit den Öffentlichen in die City zu fahren – ganz abgesehen davon, dass die Folgekosten eines ungezügelten Individualverkehrs langfristig ohnehin erheblich höher ausfallen. Kurz gesagt: Der ÖPNV muss so gestaltet sein, dass ich als Versbacher oder Veitshöchheimerin sagen kann: Meine Garage ist mein Park & Ride-Parkplatz – und ich komme gar nicht auf die Idee, mit dem Pkw in die Stadt zu fahren. Hier landen wir wieder beim Stichwort Gesamtkonzept: Man kann sowas nicht aus dem Ärmel schütteln, aber der OB und die Kommunalpolitiker sollten – auch über irgendwelche Wahlperioden hinaus – das große Ganze im Blick haben und dementsprechend planen.

Mal ehrlich: Wenn Du in Würzburg unterwegs bist – an welcher Stelle fluchst Du am heftigsten über den Verkehr (sofern Du als Grüner überhaupt fluchst)?

Das nehm ich mir durchaus mal raus – und zwar vor allem auf der Löwenbrücke. Ich sag’s gerade heraus: Für Fahrradfahrer ist das ein Anschlag auf Leib und Leben. Da sehe ich als einzige Alternative langfristig nur eine eigene Fußgänger- und Radfahrerbrücke.

Als Vater von fünf Kindern ist Dir das Thema Wohnraumproblematik wohl nur zu gut vertraut. Was dürfen wir hier von Dir im Fall eines Wahlsieges erwarten?

Wir haben hier in Würzburg die vierthöchste Mietpreissteigerung von ganz Deutschland. Das ist ein ebenso großes wie komplexes Problem. Bestimmte Teile der Stadt können nicht bebaut werden – Stichwort Klima und Grünflächen; dementsprechend werden wir nicht drum herumkommen, Augen und Ohren nach neuen Wohnkonzepten offenzuhalten: seien es neue Wohnformen, gemeinschaftliches Bauen, Baugruppen und Co. Da braucht es wesentlich mehr Experimentierfreudigkeit und weniger konservative Regelungen wie etwa den aus meiner Sicht vollkommen überflüssigen Stellplatzzwang, der im schlimmsten Fall die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum verhindert. Trotzdem, große Versprechungen à la „In fünf Jahren haben wir das alles im Griff“ werdet Ihr von mir hier nicht hören. Dafür ist die Sachlage einfach zu komplex.

Was sicherlich vielen unserer Leser am Herzen liegt, ist das Thema Posthalle. Wie stehst Du dazu?

Ich habe einen klaren Plan mit der Situation umzugehen und eine Lösung zu finden. Auf der Prio-Liste rangiert das ganz oben. Es gibt in Würzburg eine großartige Kulturszene – und die dürfen wir unter keinen Umständen aufgeben. Zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger. Da müssen wir als Politik unbedingt ran, sei es in Form eines Ideenwettbewerbs oder mithilfe der Akquirierung von Fördergeldern. Ich bin überzeugt: Hier kann man viel erreichen, wenn man wirklich will, wenn der OB die Verwaltung mitnimmt und – sorry für die Phrase – gestaltet statt verwaltet.