Autor: Michel Mayr

Aus Zeit

Jeder braucht sie einmal, irgendwann einmal. Nicht jeder nimmt sie sich, nicht jeder kann sie sich nehmen. Dabei erwischt sie nicht nur Menschen oder Tiere, sondern manchmal auch Maschinen, die Auszeit. Menschen sprechen von Urlaub oder Reha, wenige reden von Therapie. Tiere verpuppen sich, bevor es weitergeht oder schlafen ganze Jahreszeiten durch und für Maschinen bleibt meist nur der Defekt. Während manche Radiosender noch ihre Sendepause pflegen, wurde im Fernsehen das letzte Testbild Ende der Neunziger ausgestrahlt und seither herrscht der Dauerbetrieb. Klar, spät nachts laufen Wiederholungen oder Werbesendungen ohne nennenswerten Unterschied zu Testbildern, dennoch pausenartig. Und das Internet? Hat keine Pause, braucht keine und darf auf keine haben, ist immer an. Immer und überall abrufbar, zu jeder Tages- und Nachtzeit und an fast allen Orten der Erde. Von den Downtimes einmal abgesehen, also Zeiten, in denen mobile und stationäre Internetzugänge keinen Datendurchsatz liefern. Diese, wenn auch seltenen Vorkommnisse, verursachen umgekehrt proportional zu ihrer Häufigkeit enorme Emotionsspitzen. Skandalträchtig befeuert durch Meldungen, dass das Internet zu dieser und jener Zeit und an diesem und jenem Ort …

Auf Augenhöhe- Müdigkeit. Erschöpfung. Depression.

Willkommen im neuen Jahr. Was sich zwischen den Jahren andeutete, wird jetzt Wirklichkeit. Das neue Jahr startet nicht nur verkatert und grau, sondern auch ohne Gnade. Perspektivlos, trotz all der Vorsätze – und hoffnungslos, trotz all des Neubeginns. Von Sydney bis New York, von Plauen bis Aachen. Gewollt oder nicht, jeder fängt neu an und man selbst steckt mittendrin. Dem Jahresbeginn entzieht sich niemand, und so beginnt das neue Jahr, wie das alte aufgehört hat, es stirbt. Im Gegensatz zum Menschenleben ist das Jahresleben klar strukturiert, designierter Start und designiertes Ende. Das Jahr hat keine falsche Hoffnung, aber auch keine falsche Angst. Es liegt 365 Tage im Sterben und selten spürt man das so intensiv wie am Jahresbeginn. Die Festtage sind abgehandelt, die alten Freunde wurden gesehen und der alten Feinde wurde gedacht. Dopamine sind verbraucht, Adrenaline nicht wieder aufgefüllt. Man nüchtert aus. Der Blick wird endlich scharf und die Welt wird grau. Ohne Luftschlangen und Glühweinnasen verliert das Leben seine Weichzeichner. Wenn die bunten Lichterketten erloschen sind, die bunteren Feuerwerke abgebrannt und der Rauch …