GARTEN, NACHBARN

Klein, aber mein

Es muss nicht immer höher, größer, breiter sein: Was, wenn man für den Traum von den eigenen vier Wänden auch auf kleinem Fuß leben könnte? Innovative Beispiele urbaner Lebensformen zeigen die Zukunftsgärten der Landesgartenschau Würzburg.

Es war einmal ein kleiner Schuppen. In der hintersten Ecke des Gartens hatte er seinen festen Platz und trotze im verwitterten Gewand jeder Jahreszeit, die da kommen wollte. Nützlich war er, so viel ist klar, fanden in ihm doch Utensilien wie Schaufeln, Besen und Schubkarren genauso ihren Platz wie so manche Schlaf- oder Ruhemöglichkeit. Bis eines Tages schließlich Carports und Garagen an seiner Stelle errichtet wurden. Aus Grün wurde Grau, aus Rasenflächen schnell Beton – und der kleine Schuppen geriet in Vergessenheit. Nun aber hat er sein großes Comeback: Umgebaut, aufgestockt oder mit mobilem Untersatz versehen ist er mittlerweile eher kleines Häuschen als bloßer Gartenverschlag. Sein neuer Name? Tiny House. Sein neuer Einsatzort? Überall dort, wo die Notwendigkeit räumlicher Begrenzung nach visionären Wohnkonzepten verlangt.

Es grünt so grün
Bestes Beispiel: die Zukunftsgärten der Landesgartenschau Würzburg. Vom 12. April bis 7. Oktober 2018 präsentieren hier Architekten, Künstler und Landschaftsgärtner experimentelle Wohnformen, die nicht nur den gesellschaftlichen Wandel abbilden, sondern auch Zukunftsszenarien des Lebens und Wohnens weiterdenken. Die entstandenen Module gehen dabei eine Symbiose mit acht außergewöhnlich gestalteten Gärten ein, die individuell auf das jeweilige Tiny House abgestimmt sind, das sie beherbergen. Allen Konzepten gemein ist die Sehnsucht nach Natur und Regeneration, wobei kaum eines schon so explizit die Einladung zum Verweilen im Namen trägt wie der „Auszeitgarten“ von Baumgart Landschaftsarchitektur.

Da ist es auch nur konsequent, dass der Besucher gebeten wird, sein gutes Schuhwerk gegen schmutzfeste Gartenschuhe zu tauschen – anstatt ordentlich gepflasterte Wege erwarten ihn hier nämlich typische landwirtschaftlich genutzte Feldwege. Ist man nach einem kurzen Spaziergang auf den Garteninseln angekommen, hat man dann die Qual der Wahl: Wie wäre es beispielsweise mit einem ausgedehnten Blick auf satte Staudenbeete und üppige Obstbäume? Oder doch lieber ein Päuschen in einer der lauschigen Sitzgelegenheiten einlegen? Langweilig dürfte es einem in beiden Fällen nicht werden, ist doch auch ein Bereich vorgesehen, in dem tierische Gartenbewohner den Besuchern Gesellschaft leisten.

Das wirkliche Juwel des Auszeitgartens ist jedoch das Tiny House selbst: Dank verglaster Giebel gibt das „muse_haus“ einen weiten Blick ins grüne Leben frei, bei dem die Grenzen zwischen Innen und Außen fast zu verschwinden scheinen. Das Musterobjekt auf der Landesgartenschau wird eine schwarz getintete, dreidimensionale Holzfassade aus heimischer Weißtanne haben, für Interessenten aber auch in anderen Ausführungen erhältlich sein. Diese können zudem zwischen Bausatz oder fertigem Modul wählen – je nachdem, ob selbst Hand angelegt werden soll oder man den Aufbau lieber Profis überlässt.

Runde Sache
Noch mehr „Mittendrin statt nur dabei“-Gefühl vermittelt nur der hausgewordene Kindheitstraum der österreichischen Künstlerin Ona B.. Mit „Scandal in Paradise“ hat sie ein kugelförmiges Baumhaus geschaffen, das als Gegenpol zu den anderen Tiny Houses der Landesgartenschau in luftigen Höhen sitzt. „Eine Urzelle“, wie sie sagt, die ihr Denken widerspiegele. So gehe es ihr darum, einen Ort der Fantasie zu schaffen, bei dem Kunst und Leben ineinanderfließen. Und wir geben es gerne zu: Hat man einmal im überdimensionalen Apfel Platz genommen, fühlt man sich vielmehr als Teil der Installation als deren Besucher. Nicht zuletzt dank seiner exponierten Lage inmitten eines Baumwipfels weckt das knallrote Objekt sofort verträumte Erinnerungen an Alice’ Wunderland, Verlust des Zeitgefühls inklusive. Wie passend, dass auch der dazugehörige „Ewige Garten“ ein pflanzliches Potpourri wilder Schönheiten ist, das – so Landschaftsplanerin Ulrike Faust – eine „dynamische Gartengestaltung mit hohem Erlebniswert“ verspricht. Wetterfeste Eiszeitrelikte wie Adonisröschen oder Küchenschelle stehen hier nicht nur als Gegenentwurf zu kurzlebigen Trendpflanzen, sondern auch für eine nachhaltige und ressourcenschonende Bodennutzung. Ein weiteres wichtiges Schlagwort ist für Faust daher „naturnah“: So soll der „Ewige Garten“ als Versuch verstanden werden, mit den örtlichen Gegebenheiten eines jeweiligen Standorts zu arbeiten, statt blind irgendwelchen Produkt- oder Materialtrends aus dem Baumarkt zu folgen.

Mach mal Platz!
Doch was bedeutet eine solche Rückbesinnung auf das Altbewährte im größeren Kontext? Natürlich ist es sinn- und wertvoll, regionale Rohstoffe wie Muschelkalk, Mainkies oder heimische Blumenerde zu verwenden. Fakt ist aber: Den Grund und Boden, um selbige einzusetzen, muss man aber erst mal haben. Inspiriert bis in die Fingerspitzen kehrt man nach dem Besuch der Zukunftsgärten nach Hause zurück, getrieben vom festen Entschluss, den vielzitierten grünen Daumen endlich mal ganze Arbeit leisten zu lassen – nur um dann festzustellen, dass man aus zwei Zimmern/Küche/Bad mit Blick auf die angeschmuddelte Fassade vis-à-vis eben doch keine blühende Öko-Idylle zaubern kann. Ein eigener Garten, das wäre was. Und wenn man darin noch wohnen könnte, also in einem richtigen Haus, dem eigenen, richtigen Haus – zu schön, um wahr zu sein, oder? Wir sagen nein! Also schon schön, aber eben auch wahr – weil möglich. Das Geheimnis lautet: „Think small“. Auch wenn Du jetzt versucht bist, uns zu korrigieren – ja, Du hast richtig gelesen. Laut Jay Shafer wohnt die Zukunft nämlich in gerade mal drei Kubikmetern. Mit seiner Tiny-House-Bewegung hat der US-Designer seit 1999 tausende von Menschen davon überzeugt, den großen Traum vom eigenen Haus auf kleiner Fläche zu realisieren. Welche Größe die Tiny Houses haben sollten und wie sie auszusehen haben, kann jeder, der eines bauen oder bauen lassen will, selbst entscheiden. Die Wohnfläche beträgt meist zwischen 15 und 50 Quadratmetern, einige stocken sogar auf 95 auf. Die Kosten belaufen sich wiederum, je nach Größe und Ausstattung, zwischen 20.000 und 140.000 Euro. Allen gemein ist dabei aber ein Element: die Reduzierung aufs Wesentliche.

Not so big in Japan
Ein Konzept zwischen Lebenseinstellung und Notwendigkeit, das in seinem Ursprung tatsächlich keine Erfindung made in America ist. Aufgrund des ungeheuren Platzmangels entwickelte sich in Japan nämlich bereits Mitte der 1960er Jahre der Trend zum minimalistischen Wohnstil, der als Antwort auf die horrenden Grundstückspreise in den chronisch überfüllten Ballungsgebieten verstanden wird – allein in Tokio leben 13.000 Menschen auf einem Quadratkilometer. Eine hohe Erbschaftsteuer führt außerdem dazu, dass Liegenschaften vielfach geteilt werden, bis Grundstücke entstehen, die nur noch zwischen zehn und 80 Quadratmeter groß sind. Für die winzigen, oftmals verwinkelten Häuser, die darauf entstehen, hat sich der Begriff „Pet Architecture“ entwickelt: klein, fein und irgendwie niedlich – wie ein „pet“ eben, ein Haustier. Dem Architekten Ryue Nishizawa ist es so gelungen, in einer Baulücke mit lediglich vier Quadratmetern ein fünfgeschossiges Haus mit Garten zu bauen, das mit kreisrunden Deckendurchlässen aufwartet und im Inneren Pflanzen statt Wänden die Raumgliederung überlässt.

Der neue Minimalismus
Gerade mal so groß wie ein Lastenaufzug bei Ikea ist hingegen der bekannteste Entwurf der Berliner Architekten Van Bo Le-Mentzel, der damit einen radikalen Ansatz verfolgt: Konstruieren statt konsumieren. Gemeinsam mit einem Kollektiv aus Gestaltern, Bildungsaktivisten und Geflüchteten hat der Gründer der Tinyhouse-University auf 6,4 Quadratmetern eine bezahlbare Wohnung geschaffen, die alles enthält, was man zum Leben braucht. Der Geniestreich liegt hier im Detail: „Die Küche hat zum Beispiel einen Falttisch. Wenn man den hochklappt, ergibt sich ein neuer Raum. Dort sind die Toilette und die Dusche untergebracht“, erklärt der Architekt. Vom Bad, über die Küche bis zum Büro-, Schlaf- und Wohnzimmer – in Le-Mentzels Tiny House kann man für rund 100 Euro leben, arbeiten und sogar verreisen: „Setze es auf einen Pkw-Anhänger und du kannst es überall platzieren, wo es Parkplätze gibt.“ Dabei ist es nicht nur dieses Maximum an Flexibilität, das immer mehr Menschen für die Mini-Häuser begeistert; es ist vielmehr der uralte Wunsch nach eigenem Haus und Hof, auch wenn er in seiner modernen Form freilich etwas kleiner geträumt werden muss. Und sein wir mal ganz ehrlich: Wer verzichtet denn nicht gerne freiwillig auf unnötiges Chichi, wenn er dafür ein Haus sein Eigen nennen darf? Generell geht der Trend ohnehin zum Downsizing und ein wenig Ausmisten hat auch noch nie geschadet, oder

Keine Gnade vor (Bau-)Recht
Doch bevor Du nun die Kündigung an deinen Vermieter adressierst und Dich auf den Weg zur Bank des Vertrauens machst, solltest Du nochmal kurz innehalten, denn: Auch kleine Häuser können größere Tücken haben. So gilt für die Minihäuser hierzulande deutsches Baurecht – das heißt, sie brauchen ebenso eine Baugenehmigung und müssen beim Erschließen des Baugrundstücks den gleichen Maßgaben folgen wie etwa ein Einfamilienhaus. Diese greifen übrigens auch, wenn das Tiny House auf einem Anhänger steht. Sobald man sich auf Dauer an einem Ort niederlässt, müssen nämlich sowohl die Landesbauordnungen als auch die kommunalen Bebauungspläne berücksichtigt werden – ein Anruf beim örtlichen Bauamt ist also unerlässlich. Nicht viel anders verhält es sich mit dem Schuppen im klassischen Sinne: Selbst wenn Dir Grund und Boden bereits gehören, muss das Projekt Gartenhäuschen 2.0 ab einer gewissen Quadratmeterzahl noch von oben abgesegnet werden. Da fällt uns doch glatt ein Witz ein: „Antragsteller, die ein Antragsformular wünschen, müssen ein Antragsformular ausfüllen.“ Na, hast Du gelacht? Wir auch nicht.

Text: Anna-Lucia Mensing; Fotos: LGS Würzburg; Schwörer Haus