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Wieso das erholsame Wochenende eine dreiste Lüge ist

FreitagNachmittag – und der Zeiger der Uhr kann sich gar nicht schnell genug bewegen. Den Rechner runterfahren, die Türe zusperren, der Letzte macht das Licht aus, hoch die Hände, Wochenende! Hoch die Hände im Sinne von „Hände hoch oder ich schieße“.

Freitagnachmittag heimgekommen, den Rucksack in die Ecke geknallt, einen Kaffee aus dem Kaffeevollautomaten gezogen, in den Sessel fallen lassen, durchgeatmet, Wochenende. „Du, könntest du mir mal kurz helfen, unten tropft’s an der Wasserleitung“ – na also, Wochenende vorbei. Die Verschraubung nachgezogen, das Gewinde verrostet und verkalkt, alles klar, tauschen wir das aus! Das System gibt’s nicht mehr? Naja, okay, „da bauen wir was“ Mist! Ist das dreiviertel Zoll? Wie, die sind jetzt aus Kunststoff? Naja, dann machen wir halt die Leitung bis hinten neu rein, hol mal Hammer und nen Meißel, da muss was von der Wand weg … Ach ja, die Teile gibt’s in Bad-Mergentheim, wenn du dann eh schonmal dort bist, die Mieterin von deinem Onkel hat angerufen, könntest du da mal vorbei schauen, die Steckdose im Keller hat keinen Strom … fast forward, plötzlich ist es Freitagnacht – und unter Entspannung hatte ich mir irgendwie etwas anderes vorgestellt.

Samstagfrüh, 6:30 Uhr, jemand stapft vor meinem Zimmer durch die Küche und macht Kaffee, dann wird der Frühstückstisch gedeckt und der Radio läuft. Ich trotte an die Tür und stecke meinen verpennten Strubbelkopf in die Küche, noch bevor ich richtig den Mund aufbekomme: „Ah gut, du bist ja auch schon wach, die Nachbarin muss heute ihre Regenrinne anschließen und hat uns gefragt, ob wir helfen. Die hat ja heut Geburtstag, das wäre echt nett!“

Wieso immer ich …

Samstagfrüh, 7 Uhr, ich sitze zu zwei Dritteln verschlafen, zu einem Sechstel verstimmt und immerhin dem restlichen Sechstel neugierig auf die etwas andere Geburtstagsfeier am Frühstückstisch und starre durch das Fenster in die Dunkelheit. Gegen Acht nimmt der Großkampftag dann seinen Lauf, sieben Stunden Gebaggere, Gesäge – und für den promovierten Physiker, der weder Bagger noch Säge bedienen kann, Geschaufele von Beton und Schutt. Zum Mittag gibt’s es lecker Kesselfleisch … Scherzhaft wurde die Schweineschnauze als „Steckdose“ bezeichnet … Ob ich gerne Steckdose probieren möchte? Lieber nicht, danke, der Tag war schon schlimm genug. Samstagabend, 21 Uhr, ich falle halbtot ins Bett und freue mich einfach nur, dass morgen Sonn- und kein Werktag ist. Sonntag werden bei uns keine Wasserleitungen verlegt, keine Stromleitungen repariert und keine Höfe aufgebaggert, einfach … nur … schlafen…

Sonntagfrüh, 1:55 Uhr, das Telefon klingelt. Ich denke nur, oh fuck, da ist etwas passiert – und renne ins Wohnzimmer, mein jüngster Bruder ist dran: „Bei der Resi hat jemand im Garten den Holzhaufen angezündet, weck mal den Vatter und kommt’s vor zum Feuerwehrgeräteschuppen, die Sirene geht eh gleich los!“ Schlafanzug raus, rein in die Klamotten, runter auf die Straße gerannt und im Hintergrund eine Rauchsäule gesehen, also ab in Richtung Feuer. Meine Brüder haben dann schon den Löschkarren hingeschleppt und Schläuche verlegt (beide in der Freiwilligen Feuerwehr) und ich bekomme eine kurze Lagebeschreibung: „Da hat irgendsoein Depp bei der Resi (93 Jahre jung) Grillanzünder auf ihren Brennholzhaufen im Garten gelegt. Wir haben schon beide Feuerlöscher von der Werkstatt draufgejagt aber das geht net aus, die Feuerwehr haben wir auch schon angerufen und ihnen gesagt, dass es net schlimm is und sie einen vorbei schicken sollen, weil wir das wahrscheinlich selber hinbekommen.“ In diesem Moment, etwa 2:10 Uhr am Sonntagfrüh, dröhnt die Sirene los. Gegen 2:15 Uhr haben meine beiden jüngeren Brüder dann das Feuer unter Kontrolle, zwei Einsatzwägen von der Feuerwehr und die Polizei sind auch noch dazugekommen. Die Stimmung ist relativ locker – immerhin war ja praktisch nix passiert, abgesehen davon, dass viele Feuerwehrler, meine Brüder inklusive, erst kurz zuvor vom Weihnachtsmarkt heimgekommen sind. Mein mittlerer Bruder, der im Schlafanzug gelöscht hatte, meinte noch zur Polizei: „Ich hätte ja den Löschkarren mit dem Auto runtergezogen, aber dann wär jetzt mein Lappen weg.“
Alle lachen. Dann werden noch Spuren gesichert (es waren also die stinkenden weißen Grillanzünder) und alles abgesucht, ob der Täter noch irgendwo rumsteht und gafft. Auch wenn’s glimpflich ausgegangen ist, aber Brandstiftung bei einer alten Frau – definitiv uncool! Der ganze Zirkus ging dann noch bis halb vier in der Früh, ein weiteres Highlight war dann noch die betrunkene Nachbarin, die wach geworden war und uns bat, wir sollten doch aufhören, das Holz nass zu machen, weil Sie das noch zum Schüren bracht. Montagmorgen fragt mich mein Kollege, ob ich mich am Wochenende gut erholt hätte – ich verlasse kommentarlos das Büro.

              Text: Dr. rer. nat. Dipl.-Ing. Univ. Sebastian Fiedler

Von Katzen & Mauern

oder Warum ich mal eine verrückte alte Katzenlady werde

 

Es war Dezember 1987. Das ist 31 Jahre her. Ich war vier. Wir wohnten im Dachboden einer Kirche in Nürnberg. Ich begriff nicht viel, außer der Tatsache, dass ich meine Oma erstmal für eine lange Zeit nicht sehen können würde. Und dass es eine Mauer gab, die nicht gut war.

Ich wurde politisch erzogen, die Nachrichten gehörten bei uns zu Hause zum täglichen  Welt-Unterhaltungsprogramm. Mein Bruder wurde 1987 in Sachsen gezeugt und 1988 in Nürnberg geboren. Seinen ersten Satz sprach er 1989: „Die DDR ist aufdelöst.“ Meine Eltern stießen zu Hause an, an dem Tag, an dem die Mauer fiel.

Ich bin seit über 30 Jahren westdeutsch, fränkisch und bayerisch sozialisiert. Aber: Ich spreche weder Sächsisch noch Fränkisch, weil meine Eltern wollten, dass ich überall zu Hause sein kann. Die Idee war gut, die Realität noch nicht bereit. Ich bin in den Gedanken der meisten eine „Zugereiste“. Und ich wünschte, ich könnte das Wort richtig aussprechen, um zu beweisen, dass ich keine „Zugereiste“ bin. Manchmal denke ich: Ich bin für die Plätze zwischen den Stühlen erkoren, für die Zwischenstockwerke geboren. Ich war auf zwei Grundschulen und auf drei Gymnasien. Ich bin in meinem Leben 20 Mal umgezogen. Ich habe 20 Mal neue Straßenzüge erkundet, neue Freund_innen gefunden, neue Welten kennengelernt. Ich beneide Menschen, die noch ihre Grundschulfreund_innen kennen. Die Menschen haben, die sich wie ein roter Faden durch ihr Leben ziehen.

Vor ein paar Jahren rettete ich eine Katze vorm Tierheim. Die Katze entschied sich, mit mir umziehen zu wollen. Woher ich das weiß? Ich dachte, Katzen wollen ein Revier. Und der Bauernhof, auf dem ich während des Studiums wohnte, schien perfekt geeignet dafür, die Katze in ihrem Revier zu lassen – auch, als es mich aus beruflichen Gründen nach Hannover zog. Aber meine ehemaligen Mitbewohner, bei denen ich die Katze gelassen hatte, riefen mich an und sagten: Die Katze vermisst dich. Du musst sie holen. Sie wartet vor deinem alten Zimmer und bewegt sich nicht vom Fleck, seit du weggezogen bist. Also fuhr ich nach Bayern und holte die Katze. Ich hatte gelesen, ich müsse sie im neuen Ort einen Monat drinnen behalten, damit sie lernt, dass das ihr neues Zuhause ist. Nach zwei Tagen ließ ich sie raus, weil sie randalierte, Topfpflanzen aufbuddelte und mit einer solchen Kraft immer wieder auf die Türklinke sprang, dass ich vollkommen naiv die dazugehörige Tür öffnete.

Es war kein Problem. Die Katze kam ein paar Stunden später wieder. Nach einer Woche hatte sie allen Nachbar_innen beigebracht, für sie – die Katze – zu klingeln, wenn sie wieder in meine, in ihre Wohnung wollte. Ich habe danach noch drei weitere Umzüge mit der Katze gemacht. Inzwischen ist sie 10 Jahre alt. Nach jedem Umzug ließ ich sie nach kurzer Zeit raus, wartete bange für ein paar Stunden. Dann kam sie wieder. Die Katze hat mehr gleiche Dinge in meinem Leben zusammen mit mir gesehen als die meisten Menschen. Und ich bin mir sicher, das ist die beste Voraussetzung dafür, dass ich eine verrückte alte Katzenlady werde. Das ist okay für mich. Für die Katze auch, schätze ich.

Es war Dezember 1987. Das ist 31 Jahre her. Ich war vier. Wir wohnten im Dachboden einer Kirche in Nürnberg. Ich begriff nicht viel, außer der Tatsache, dass ich meine Oma erstmal für eine lange Zeit nicht sehen können würde. Meine Oma lebte weiter auf der anderen Seite der Mauer. Sie durfte nicht zu uns, weil die DDR-Regierung Angst hatte, sie würde im Westen bei ihrer Tochter und ihren Enkeln bleiben. Wir durften nicht zu ihr, weil, meine Eltern hatten sich ja freiwillig entschieden das Land, dieses Land, die DDR zu verlassen. Es gab ein einziges Schlupfloch: mit Bekannten, die ein Visum für einen DDR-Besuch hatten, durfte ich als Fünfjährige für ein paar Wochen zu meiner geliebten Oma. Woran ich mich erinnern kann?

Meine Eltern versuchten Jahre um Jahre via Ausreiseantrag die DDR zu verlassen. Stasi-Verhöre folgten. Akten wurden angelegt. Eines Tages kam der Anruf: Verlasst bis Mitternacht das Land. Meine Mutter war im neunten Monat mit meinem Bruder schwanger, jederzeit konnten die Wehen losgehen. Es war Dezember und es erinnerte seltsam abstrakt an eine moderne Weihnachtsgeschichte. Über meinen Großvater, der Pfarrer war, kamen wir nach Nürnberg zu einem befreundeten Pastor, der uns für den Anfang im Dachboden seiner Kirche wohnen ließ. Es war ein schöner Dachboden. Wir blieben ein paar Wochen, bis mein Vater Arbeit und meine Eltern eine Wohnung im Nürnberger Umland fanden. Da wuchs ich auf. Von Zeit zu Zeit zogen wir in eine andere Stadt, immer im Radius von Nürnberg. Was ich mit Nürnberg verbinde: den alten Bahnhof, der nach Westdeutschland roch, Schokoweihnachtsmänner, die man uns an jeder Ecke entgegenstreckte, als wir ankamen, die unverbrauchte Sehnsucht nach Neuem und die melancholische Sehnsucht nach Altem. Was ich nie verstand: Warum es nicht nur eine Mauer zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland gab, sondern auch eine unsichtbare in den Köpfen der Menschen zwischen Nürnberg und Fürth. [Exkurs: Fürther_innen und Nürnberger_innen sind auf eine sehr seltsame Art verfeindet. Es gibt z. B. geflügelte Worte wie „Lieber Fünfter als Fürther“…]

Dabei verbindet doch Nürnberg und Fürth die erste Zugstrecke der Welt. Und vielleicht war die Angst berechtigt, damals 1835, dass die Menschen verrückt werden könnten, wenn sie so schnell mit dem Zug fuhren. Vielleicht ist es verrückt, Grenzen zu setzen und nach ihnen zu leben. Vielleicht sollten wir uns mehr darauf konzentrieren, was wir tun anstatt wo wir es tun. Ich hab übrigens noch ne Fußball-Sportwette für Greuther Fürth laufen und aufn „Nürnberger Glubb“ hab ich auch gesetzt. Eine klassische Win-win-Situation! In diesem Sinne: Denkt an die Katze. Ihr sind Mauern egal. Sie springt einfach drüber. Was ich Euch eigentlich sagen will: Reißt Mauern ein oder rettet zumindest eine Katze aus dem Tierheim.

Pauline Füg wurde in Leipzig geboren und wuchs in und um
Nürnberg auf. Mittlerweile pendelt sie über Umwege nach
Eichstätt, Berlin und Hannover kulturell zwischen Würzburg und Fürth. Seit über 15 Jahren gehört sie zu den renommiertesten deutschsprachigen Spoken-Word-Poetinnen. Sie arbeitet als Autorin, Dozentin für Kreatives Schreiben und als Creative Empowerment Coach. Ihr Lyrikband „die abschaffung des ponys“ erschien im Würzbürger stellwerck Verlag. 2015 gewann sie den Kulturförderpreis der Stadt Würzburg. Weitere Infos: www.paulinefueg.de

Wenig Schein, viel Sein

Über menschliche Größe in einer kleinen Kantine

Art. 147 GG hält unmissverständlich fest: „Der deutsche Morgen ist von jeglicher Fröhlichkeit freizuhalten.“ Oh würde nur jeder Artikel des Grundgesetzes so eisern befolgt!

Sogar jene wenigen verirrten Subjekte, die ab und an versehentlich mit dem rechten Fuß aufstehen, können auf die Hilfe ihrer regeltreuen Mitbürger zählen; schließlich gewährleisten diese mit deutscher Zuverlässigkeit, dass sich auf dem Arbeitsweg selbst der kleinste Anflug guter Laune schleunigst wieder in Luft auflöst. Die Bandbreite reicht dabei von der Strategie „Weihwasserkessel 4.0“ (in Bus oder Bahn mit vorgeschobenem Unterkiefer möglichst dämlich auf ein Smartphone glotzen) bis hin zum ho(h)lis-tischen Ansatz (freundliche Blicke mit dermaßen hohlen Gesichtsausdrücken quittieren, dass selbst ein scheinbar hübsches Antlitz binnen Sekunden die Faszination eines silbernen Golf VI Trendline ausstrahlt. Auf Stahlfelgen!).

Sie müssten es nicht …

So weit, so schlecht. Jedenfalls lag ein ebensolcher Morgen gerade wieder hinter mir, als ich mittags erstmalig die Kantine des Finanzamts Würzburg in der Ludwigstraße betrat. Übellaunig bzw. überdrüssig des ewig gleichen Pizzalasagneveggiehummusstampfdönerasianudelreiseinerleis und frei nach dem Motto: ‚Jetz is‘ a scho wurscht‘ betrat ich den Raum, der es in Sachen Ästhetik durchaus mit oben genannten Buspassagieren aufnimmt. Und doch war ich kurz darauf regelrecht baff: Da ging es doch glatt freundlich zu. Das begann schon beim Koch, der mich mit einem Lächeln begrüßte, und setzte sich nahtlos bei den beiden unglaublich sympathischen Damen an Essensausgabe und Kasse sowie beim ebenfalls höchst freundlichen jungen Küchengehilfen bei der Tablettrückgabe fort. Spontan hob sich der Launepegel von -10 auf 40 – und das mit Unterzucker! Respekt. Und als ob dem noch nicht genug gewesen wäre, setzte sich der Launen-Höhenflug beim Genuss des Krustenbratens nahtlos fort. Das Fleisch auf den Punkt, die Soße ein Traum und frei von jedem Päckleverdacht, die Klöße von optimaler Konsistenz … mein lieber Herr Gesangsverein! Zugegeben, die spontan einsetzende Reue für so manchen Zwanziger, den ich in irgendwelchen hochgehypten Hipsterklitschen für das Gleiche in wesentlich schlechterer Qualität gelassen hatte, drückte schon kurz aufs Gemüt; nichtsdestotrotz obsiegte die Freude über diese Entdeckung letztlich haushoch – und riss mich zu einem spontanen Kompliment ans gesamte Küchenteam hin. Seitdem heißen die beiden Damen Jutta und Hilde, der Küchengehilfe Sebastian und der Koch nicht mehr Koch, sondern Jochen. Meine Mittagskumpels und ich freuen sich seitdem so gut wie jeden Vormittag aufs nächste Mittagessen (auch wenn’s natürlich nicht immer der Lieblingsbraten ist), plaudern, scherzen – und beschlossen spontan, dem Jochen und seinem Team einen Artikel zu widmen. Schließlich geht es hier um nichts weniger als eine (viel zu seltene) Form der „guten Nachbarschaft“, die uns die vier tagein tagaus vorleben.

… tun es aber

Umso bewundernswerter erscheint das, wenn man sich allein Jochens Geschichte anhört, die man wahrlich als bewegt bezeichnen kann. Nach der Lehre 1969 führten ihn seine Stationen von Nürnberg über Stuttgart und Frankfurt wieder nach Würzburg; da fallen Namen wie Fernsehturm, Zeil, Rebstock, Ratskeller, Feste Marienburg – aber da ist auch von Arbeitszeiten die Rede, die ein geregeltes Familienleben mit Ehefrau und zwei Kindern unmöglich mach(t)en. Es folgt die Scheidung – und es wird weiter malocht, bis Jochen schließlich Christine kennenlernt. Mit ihr zusammen betreibt er zunächst die Burg (heute Maiz), bevor sie in Zell das Schnatterloch übernehmen, das sich schon nach kurzer Zeit vor Gästen kaum noch retten kann. Doch dann folgt der nächste Schicksalsschlag: Christine stirbt an Krebs, von dem Jochen erst erfährt, als er nach einem plötzlichen Zusammenbruch den Notarzt rufen muss – so lange hatte sie eisern an seiner Seite geschuftet, als sei alles in bester Ordnung. Als er von dem kleinen Schutzengel erzählt, den sie ihm bevor sie ging noch heimlich unters Kopfkissen gelegt hatte, wird es kurz still im Raum – bis das Lächeln auf Jochens Gesicht zurückkehrt; immerhin hat der Schutzengel ganze Arbeit geleistet und verhindert, dass der Schmerz über diesen schlimmen Verlust und das damit verbundene abrupte Ende der Schnatterloch-Zeit ein allzu tiefes Loch in sein Leben reißen konnten: Dank der Empfehlung eines Freundes bot sich ihm die Chance, sein Talent in der Kantine des Finanzamts unter etwas menschlicheren Bedingungen als bei den vorherigen Stationen walten zu lassen. Und obwohl er es mit seinen 65 Jahren (ich dachte, ich höre nicht recht!) eigentlich gar nicht (mehr) müsste – er tut es: mit jedem sorgsam eingelegten Braten, jeder Soße, jedem Abschmecken, jedem selbstgemachten Kartoffelsalat – frei nach der Devise: „Wenn ma scho sei Bäggle mit sich rumschleppt, sollt’s Essen ned a no ausm Bäggle sei.“ Dass er mit Jutta, Hilde und Sebastian noch drei Menschen um sich hat, die auch den grantigsten Gast mit ihrer unverstellten Herzlichkeit zum Lächeln bringen, geht wohl ebenfalls ein bisschen aufs Konto des kleinen Schutzengels. Schließlich müssten sie das auch nicht – aber sie tun es einfach. Und das ist gut so. Denn was sie damit bei ihren Mitmenschen „anrichten“, zeigt sich neben den vielen zufriedenen Mienen nicht zuletzt an der ständig steigenden Gästezahl – die ja an sich schon Beleg genug ist, dass hier irgendwas ganz arg richtig läuft.

Unser Meister in seinem Element

Und so offenbart sich, abgesehen vom herrlichen Essen, ausgerechnet im kleinen Kosmos einer Kantine, was die Menschheit selbst im familienfreundlichsten Neubaugebiet oder dem smartesten Baugruppenprojekt allzu oft nicht auf die Kette bringt (von internationaler Politik ganz zu schweigen): Nachbarschaft ist, wenn man trotzdem lächelt. Alles andere ergibt sich von selbst – in unserer Kantin‘ hoffentlich noch möglichst lange (Art. 148 GG)!

Text: Christian Götz; Fotos: Nico Manger

Kochen mit Jochen

So manches Gericht aus Jochens Küche schmeckt wie bei Muttern – und bisweilen sogar besser. Sorry, Mama ;). Deshalb gibt’s ab sofort in loser Reihenfolge jeweils ein Lieblingsrezept unseres Lieblingskochs. Also weg mit’m Bäggle – und ran an den Herd!

 

 

 

 

 

 

Folge 1: Krustenbraten mit Semmelknödel und Bayrisch Kraut

Braten

Für 4 Personen
1 kg Krustenbraten, 1 Liter Brühe, 3 Zwiebeln, 1 Karotte, 150 g Sellerie, 1 TL Puderzucker,
1 EL Tomatenmark, Majoran, Kümmel, Lorbeerblatt, Salz, Pfeffer

Für 80 Personen (Man weiß ja nie!)
10 kg Krustenbraten, 15 Liter Brühe, 4kg Zwiebeln, 3kg Karotte, 2,5kg Sellerie, 250g Puderzucker, 1 Dose Tomatenmark, Mehr Majoran, Kümmel, Lorbeerblatt, Salz, Pfeffer 🙂

Zubereitung (Zeiten gelten für 4 Personen):
1. Backofen auf 130° C bis 150° C vorheizen und Brühe in einen Bräter gießen; den Braten auf der Schwartenseite hineinsetzen und 1 Stunde im Ofen garen.
2. Braten aus dem Bräter nehmen und Ofenhitze auf 180° C erhöhen; die Schwarte mit einem scharfen Messer im Abstand von etwa 1 cm mehrmals parallel und quer einschneiden, damit man den Braten am Ende schön portionieren kann.
Braten in den Ofen geben, bis sich eine schön-krosse Kruste bildet.
3. Zwiebeln, Karotten und Sellerie putzen, in Würfel schneiden und bei mittlerer Temperatur erhitzen. Den Puderzucker in separatem Topf hell karamellisieren – dann Gemüse und Tomatenmark hinzugeben und das Ganze andünsten.
4. Mit Majoran, Kümmel, Lorbeerblatt, Salz und Pfeffer abschmecken und dann mit Brühe aus dem Bräter zusammengeben. Die Soße nach Belieben etwas einkochen lassen.

Semmelknödel

Für 4 Personen
8 altbackene Brötchen, ¼ Liter Milch, Salz, Pfeffer, Muskatnuss

Für 80 Personen:
6kg altbackene Brötchen, ca. 8 Liter Milch, Mehr Salz, Pfeffer, Muskatnuss 🙂

Zubereitung
1. Brötchen in dünne Scheiben schneiden.
2. Milch aufkochen, Eier verquirlen und unterrühren und mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss würzen.
3. Die Eiermilch über die Brötchenscheiben gießen, Petersilie hinzufügen und alles mit den Händen zu einer kompakten Masse verkneten; diese dann zugedeckt etwa 20 Minuten ziehen lassen.
4. Knödel formen und 15 – 20 Minuten gar ziehen lassen (Wasser darf nicht sieden!).

Bayrisch Kraut

Für 4 Personen
Ca. 600 g Weißkohl, ¼ Liter Fleischbrühe, Salz, Kümmel

Für 80 Personen:
10-12kg Weißkohl, 3 Liter Fleischbrühe, Mehr Salz, Kümmel 🙂

Zubereitung
1. Weißkohl zunächst in Viertel und diese dann wiederum in circa 0,5 cm große Würfel schneiden.
Mit Salz und Kümmel würzen.
2. Einen großen Topf mit Fleischbrühe ansetzen, Weißkohl hineingeben und 40-50 Minuten dampfen.

Fotos:  Nico Manger – Würzburg www.nico-manger.de

Fühlt sich richtig gut an!

Wie sich unsere neuen Nachbarn von HOPERY für unsere engsten Verwandten engagieren

„Die Kaufentscheidung jedes einzelnen Menschen hat die Kraft, die Welt zu verändern“, davon ist Benjamin Böhme fest überzeugt. Und so entschied sich der Würzburger schließlich ganz bewusst dafür, die kleine Naturkosmetik-Manufaktur seiner Eltern in unserer lieben Nachbarschaft weiterzuführen – wohl wissend, welch harter Kampf es ist, sich gegen die Big Player der Branche zu behaupten.


Zusammen mit seinem Team des 2018 gegründeten Social Start-ups HOPERY entwickelt Benjamin die traditionellen Rezepte seiner Mutter weiter und verarbeitet für die hochwertigen veganen Produkte ausschließlich nachhaltige Inhaltsstoffe. Tierversuche sind dabei ebenso tabu wie das (nicht nur) in vielen Kosmetika verarbeitete Palmöl; schließlich ist die Palmölindustrie einer der Hauptverursacher der Zerstörung der Regenwälder – und damit auch der Heimat von Orang Utans. Um diesen nicht nur indirekt, sondern auch ganz konkret eine Chance zu geben, gehen pro verkauftem HOPERY-Produkt 20 Cent an Orangutan Outreach, ein Hilfsprojekt zur Adoption verwaister Orang-Utan-Babys; zusätzlich spendet Hopery zehn Prozent des Gewinns an das Projekt, das bereits mehrere unserer engsten Verwandten vor dem sicheren Tod bewahren konnte. So nimmt Benjamins Vision, mit jedem HOPERY-Produkt auch ein kleines Stück Hoffnung zu geben, von Tag zu Tag mehr Gestalt an. Heute bietet das Unternehmen eine hochwertige Produktpalette, die von Seifen, Handcreme und Bodylotion in den Sorten Bamboo Milk, Lavender Orange und Lime Grapefruit bis zur Badeschokolade reicht.

Mehr über HOPERY erfahrt Ihr unter www.hopery.de

HOPERY ist in Würzburg erhältlich bei DIE PAMPELMUSE, Augustinerstr. 8.

Tödlich langweilig oder zum Sterben gut?

Über das Für und Wider des Fernsehkrimis streiten unsere Autoren Thomas Brandt und Christian Götz

Warum wir keine Krimis im Fernsehen brauchen; ein polemisch-philosophischer Debattenbeitrag.

Ein alter Kommissar blickt auf das Meer. Alles ist grau. Das Meer. Der Himmel. Der alte Kommissar. Ich schalte um. Ein etwas jüngerer Kommissar untersucht eine Leiche. Oder das, was davon übrig ist. Der Mörder hat sein Opfer mit Trüffelöl eingerieben und es von Wildschweinen zerfressen lassen. Ich breche kurz in meinen bereitgestellten Eimer – und schalte wieder um. Ein glatzköpfiger Kommissar mit gezwirbeltem Schnauzbart fragt einen Verdächtigen, wo dieser zur fraglichen Taaatzzzz … ich bin eingeschlafen, habe es aber währenddessen noch geschafft, umzuschalten. Ein depressiver Kommissar fährt auf einem Kahn durch den Spreewald. „Ah, das ist der tolle Spreewaldkrimi, von dem mein Bekannter mir ständig erzählt, der muss ziemlich spannend sein.“ Ich schlafe wieder ein und träume von Gurken. Als sich meine müden Augen wieder öffnen, ermittelt eine weibliche Kommissarin in einer Sache, in der es um VergewaltigungswirtschaftserbfolgeeifersuchtterrorismuswerhatmeinSchokopuddinggegessen geht. Ich hole mir einen Schokopudding aus dem Kühlschrank, rühre ein paar Spreewaldgurken unter, breche noch einmal beherzt in den Eimer – und gehe zu Bett.

Als ich am nächsten Morgen erwache und den Fernseher einschalte, ermittelt irgendjemand irgendwas und irgendjemand ist der Mörder. Oder vielleicht auch nicht. Oder vielleicht der Gärtner. Krise in der Ukraine, globale Erderwärmung, Terrorismus, Kursstürze an der Börse, veränderte Nutella-Rezeptur – angesichts solcher und anderer globaler Schieflagen frage ich mich, was zum Geier so viele Menschen an Krimis finden. Gefühlt besteht die Fernsehlandschaft heutzutage (an die Leser der Generation Z: Fernsehen, das ist wie YouTube, nur dass da wirklich jeder Depp reinkommt) ausschließlich aus Bares für Rares, Polit-Talks und eben Krimis. Die beiden ersteren Formate sind natürlich über alle Zweifel erhaben („Schgebdirachzischeurorettungsschirm“). Aber Krimis? Amerikanische Wissenschaftler haben jüngst herausgefunden: Wenn man die Hirnkapazität aller Krimi-Autoren der Welt in einem 100-Liter-Behälter sammeln würde, hätte man darin noch Platz für 100.000 Milliliter. Wenn Sie jetzt nachgerechnet haben, sind Sie eine schlimme Person und sehen sicher auch gern Krimis – vermutlich, weil Sie an das Schlechte im Menschen glauben. Oder, weil Sie den blutrünstigen Voyeurismus als eine Art Katharsis – also eine Reinigung – von heftigen Gefühlsregungen betrachten. Mord anschauen, damit man selbst nicht zum Mörder wird. Klingt im ersten Moment eigentlich logisch; doch demnach müssten Liebesfilm-Fans grundsätzlich verbitterte Singles sein – und Shades-of-Grey-Gucker überhaupt keinen Sex haben …

Okay, der Punkt geht an Euch, Sherlocks!

Aber auch, wenn die gerade ausgeführte Argumentation so wasserdicht ist wie das Alibi eines von oben bis unten blutverschmierten Verdächtigen, der mit dem Fleischermesser in der Hand beim Verhör auf der Polizeiwache zur Protokoll gibt, er sei lediglich ein zutiefst missverstandener Aktionskünstler, mag ich einfach nicht verstehen, wieso scheinbar die ganze Welt Krimis liebt. Wenn ein norwegischer Psychopath Jungfrauen ermordet, sie in Engelskostüme steckt und auf weiten Feldern in konzentrisch angeordneten Steinkreisen drapiert, von welchen sich zur Sommersonnenwende das Mondlicht in Form eines Pentagramms spiegelt, dabei der ermittelnde, alternde und von Selbstzweifeln zerfressene Inspektor 80 Minuten lang mit seiner eigenen Fehlbarkeit konfrontiert wird (Alkoholsucht Schrägstrich Spielsucht Schrägstrich Drogensucht Schrägstrich Sucht nach alten blassblauen Schwimmbadfliesen), nebenbei noch ein Verhältnis mit der deutlich jüngeren Pathologin beginnt, der Verdacht dann auf den Dorf-Autisten aus Smölebröd fällt, bevor sich innerhalb der letzten fünf Minuten herausstellt, dass alles eigentlich Selbstmord war … – dann, ja dann schlafe ich lieber wieder ein und träume von einer Welt ohne Krimis. (Nebenbei bemerkt: Wenn Sie wissen möchten, ob es im konkreten Fall doch kein Selbstmord war, dann schalten Sie einfach übermorgen um 22:30 Uhr den Fernseher ein; egal welcher Sender, egal welcher Krimi; irgendwo wird gerade immer eine Jungfrau in einem Engelskostüm in einem Steinkreis drapiert).

Zurück zu meinem Traum – dem Traum einer krimifreien Fernsehwelt. Einer Welt mit Serien wie SCHOKO Leipzig (die besten Kreationen sächsischer Schokoladenmanufakturen), Der Kommissionierer und das azurblaue Meer (Logistikreportagen aus der Karibik), Die Rosenheim Klopse (Bulettenrezepte aus Bayern), Sportkommission Istanbul (Porträt eines türkischen Fußalltrainers), Bootruf Hafenkante (Wir schauen einem Wassertaxi-Besitzer über die Schulter), Die Spreewald-Lilly (Heimatfilm) und natürlich: Die Brücke – Transit ins Li-La-Launeland …

Ich öffne die Augen. Der Fernseher ist eingeschaltet. Nelson Müller testet im Auftrag des ZDF, ob Türscharniere von IKEA genauso gut sind wie eingelegte Knoblauchzehen von Rewe. Wie bei einem schlimmen Unfall muss ich kurz zusehen, dann wünsche ich mir einen griesgrämigen alten Kommissar, einen schalldichten Raum im Keller einer Polizeistation – und einen bestimmten TV-Koch auf dem Verhörstuhl.                                           Text: Thomas Brandt

Warum es lohnenswert ist, das Fernsehprogramm zu studieren, bevor man sich über Krimis echauffiert.

Ein Mann sitzt frühabends vor dem Fernseher. Er ist müde. Die Fernbedienung liegt schwer in seiner Hand. Dennoch gelingt es ihm, den Umschaltknopf zu drücken. Er landet bei einem Krimi, er drückt den Umschaltknopf – und landet bei einem Krimi. Ganz ohne Umschweife: In diesem Punkt sei dem Krimikritiker voll und ganz Recht gegeben. Das öffentlich-rechtliche Vorabendprogramm (Privatsender seien hier mal bewusst ausgeklammert, deren Welt ist ohnehin eine andere) strotzt nur so vor Leichen und ihren Kommissaren. Auch was das inhaltliche bzw. schauspielerische Niveau der SOKOS, Notrufe, Retter und Reviere anbelangt, wäre hier zeilenlanges Lamentieren reine Rohstoffverschwendung. Natürlich sind die schlecht – schließlich handelt es sich hier um fix abgedrehte Massenware, in der zum Großteil Schauspieler herumheroisieren, für die es sonst gerade mal bis zur Whiskas-Werbung gereicht hätte. Doch was bitte erwartet man in den „Kukident-Stunden“, die der Performer im Fitnesscenter, die Familie beim Abendessen und Teens oder Twens auf irgendwelchen Streamingkanälen verbringen? Film noir? Fassbender-Dokus? Und weiter gefragt – war es vorher besser? Ich erinnere mich düster an irgendwelche Marienhöfe, in denen nach einer dreiviertel Stunde die Liebe verboten war, Landärzte mit Zeitüberschuss und andere mediokre Machwerke. Von der Abfrage unnützen Wissens in irgendwelchen Quizformaten ganz zu schweigen. Da schau ich doch noch im Fall des Falles lieber irgendeinem C-Promi beim Sterben zu! Und für die kleinen netten Geschichten mit gutem Ausgang gibt es ja in der Tat Bares für Rares.

Doch kommen wir zur eigentlichen Kontroverse: dem Abendprogramm. Natürlich sei hier unumwunden eingestanden, dass das Genre Krimi dort eindeutig dominiert. Doch wie wäre es, der Sache mal ganz vorurteilsfrei auf den Grund zu gehen? In diesem Zusammenhang landen wir recht rasch bei der Hauptfunktion des Fernsehens – und die lautet nun einmal Unterhaltung. Dröselt man diesen Begriff in Hinblick auf das Fernsehpublikum auf, driften die damit verbundenen Erwartungen natürlich gewaltig auseinander. Der eine will vor allem Spaß und Humor, der andere bevorzugt gesellschaftliche bzw. politische Relevanz und Lebensnähe, der dritte wünscht sich schöne Bilder und Landschaften, der vierte liebt die Liebe, der fünfte die (Zeit-)Geschichte, der sechste Kunst und Kultur und der siebte die Spannung.

Die gute Nachricht für alle Krimiphobiker: Für jedes der genannten Partikularinteressen gibt es – allein im öffentlich-rechtlichen Programm – ausreichend Futter, die TV-Programm-App macht’s möglich. Der Spaß-Cowboy findet sein Fresserchen, je nach Bildungsgrad, in Formaten von Verstehen Sie Spaß? über diverse meist auch samstags ausgestrahlte Quizsendungen bis hin zu verschiedensten Kabarettformaten, ob heute-show, Anstalt, Nuhr oder vielfältigste Kleinkunst-Mitschnitte in den Dritten. Der zweite Kandidat hat wiederum die Qual der Wahl zwischen zig Politik- und Fachmagazinen, Talkshows, investigativen Reportagen oder – in Filmform – den oft sehr gelungenen Mittwochsfilmen im Ersten, die brisante Themen der Zeit in Gestalt eines mitreißenden Plots aufgreifen. Für die Bilder- und Liebesfans unter uns kuriert der Bergdoktor vor hinreißender Kulisse unterforderte Ehefrauen und Gwyneth findet im nicht minder hübschen Cornwall dank Roselmunde Pichler (Gott hab sie selig!) doch noch zu ihrem Paul, mit dem sie das verschuldete Landgut vor dem garstigen Immobilienspekulanten Cedric rettet (der aber zum Schluss auch einsieht, dass er sein Leben ändern muss). Dass die (Zeit-)Geschichtsfans unter uns sehr wohl zu ihrem Recht kommen, zeigen unzählige Filme und Serien – von Babylon Berlin über Luther und Co. bis zur schier endlosen Palette an Nachkriegsdramen oder Biopics. Ach so, da wären noch die Kunst- und Kulturbeflissenen – na dann, nichts wie ab nach arte- oder 3sat-Hausen, hier ist vom Nirvana-Konzert bis zu Theater- und Opernaufführungen alles in Fülle vorhanden, was das Bildungsbürgerherz begehrt. Auf den Spannungsfreund brauche ich hier natürlich nicht näher einzugehen – dass es ihm an nichts mangelt, wurde bereits hinreichend geklärt.

Was jedoch noch geklärt werden sollte, ist Folgendes: Gibt es da eventuell einen gewissen Treffpunkt, an dem man alle eben Beschriebenen auf einer Couch versammeln könnte? Hmm, wie könnte dieser Treffpunkt heißen? Vielleicht wie ein Filmformat, in das sich letztlich sämtliche Partikularinteressen mühelos integrieren lassen, Spannungsbogen stets inklusive? Gehen wir’s nochmal durch: sei es die Krimikomödie à la Tatort Münster oder Wilsberg mit pointierten Dialogen, seien es gesellschaftskritische Thriller, Eifersuchtsdramen, die exzellent gemachte Landkrimi-Reihe aus Österreich, Krimis rund um die jüngere Geschichte der BRD bzw. der DDR, Kriminalfilme mehrfach ausgezeichneter Regisseure (von Dominik Graf bis Hans Steinbichler) oder Drehbuchautoren wie Thomas Kirchner (aus dessen Feder unter anderem verschiedene Spreewaldkrimis stammen, die in Rückblenden bzw. verschiedenen Wahrnehmungsebenen erzählt werden): Ich denke, es ist kein Zufall, dass ich mich montagmorgens mindestens so gut mit dem Gasableser über den Tatort des Vorabends streiten konnte wie mit meinem Professor (sic!). Dass sich beim Konsumieren solcher Geschichten gern mal eine gewisse kathartische Wirkung einstellt – geschenkt. Schließlich fühlt sich Letztere auch für potenzielle Nichtmörder gut an, daran hat sich seit Aristoteles wenig geändert; indes suchen die Liebesfilm-, Science-Fiction-, Shades-of-Grey- und sogar Helene-Fischer-Fans in der Regel mitnichten nach Katharsismomenten. Vielmehr flüchten sie sich – was nur allzu verständlich ist – für ein paar Stunden in Gegenwelten zu ihrem leidlich-normgerechten Arbeits- und Beziehungseinerlei bzw. der ermüdenden Blümchensexwelt im IKEA-Boxspringbett, getestet von Nelson Müller. Für die Katharsis sorgen dann meist zuverlässig Faschings-, Junggesellenabschieds- oder Après-Ski-Besäufnisse (vielleicht gibt es doch noch viel zu wenige Krimis?!).

Selbstverständlich tummeln sich im breiten Spektrum der Kriminalverfilmungen auch jede Menge Flachmänner und -damen herum, natürlich finden wir auch hier billig zusammengeschusterte Massenware, deren geografische Reichweite von Istanbul über Gotland bis in Barnabys totgemordetes Oxfordshire reicht. Doch auch dafür gibt es, wie bei jedem anderen Genre auch, eine relativ simple Lösung: den kritischen Blick ins Programm bzw. diverse Bewertungsportale. Auf gut Glück zappen führte schon in krimiärmeren Zeiten ins Nirvana – es sei denn, man landete bei den Nachrichten. Aber das ist eine andere, fiktionsfreie (Kriminal-)Geschichte …            Text: Christian Götz

Bitte einen… Krapfen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.  Müllerbäck – „Ja gerne, mit Kristall- oder Puderzucker?“ / „Puderzucker bitte.“ / „Das macht dann 1,15 Euro.“
2.  Kiliansbäck – „So, bitteschön, was darf’s sein? Mit Zucker oder Puderzucker?“/ „Puderzucker bitte.“ / „1,15 Euro.“
3.  Rösner – „Einen Krapfen?“ / „Ja.“ / „Krapfen?“ / „JA!!!“ / „Das macht dann bitte 1,15 Euro.“
4.  Schiffer – Nickt (kurzes Schweigen) „Puder oder Kristall?“ / „Puder bitte.“ / „Das macht dann 1,15 Euro.“
5.  denn’s Biomarkt – „Dinkel oder einen Normalen?“ / „Normal bitte.“ / „Okay, 1,40 Euro.“
6.  Juliusspital Bäckerei  „Was darf’s sein?“ / „Bitte einen Krapfen.“ /  „Gerne, das war’s?“ / „Ja.“ / „1,20 Euro bitte.“
7.  Café Michel – „Zum Mitnehmen oder Hieressen?“ / „Zum Mitnehmen.“ /  „Ich habe Schoko, Vanille und einen Normalen.“ /„Normal bitte.“ / „Das macht dann 1 Euro.“
8.  Brandstetter – „Puder oder Kristall?“ / „Puder bitte.“ / „Gerne, das macht dann 1,30 Euro.“
9.  Webers – „Gerade habe ich nur den Klassischen. Morgen hab ich Apfel, Vanille und Quarkbällchen.“ /„Danke, sehr nett. Ich nehme den Klassischen.“ / „0,95 Cent bitte.“
10. Hanselmann – „Sehr gerne, das macht dann 1,20 bitte.“ / „Danke und noch einen schönen Tag!“

Aufgezeichnet von: Sarah Theisen; Fotos: STUDIO 5d