Jahr: 2019

Liebste Nachbarn

Hut ab: Dieser wunderschöne, authentische Würzburger Hutladen im Bild oben ist schon etwas älter, aber trotzdem hochmodern, denn hier wird Kopfarbeit geleistet: Frau Helsper übernahm 1991 das Geschäft in der Augustinerstraße. Seit über 100 Jahren werden hier schon Hüte produziert und verkauft. In den Nachkriegsjahren gab es mehr als zehn Hutläden in der Stadt. Davon sind leider nur wenige geblieben. Aber Hüte erleben schon seit einiger Zeit wieder eine Renaissance: vor allem auch seit dem Babylon-Berlin-Hype sind 20er-Jahre-Outfits wieder en vogue. Und was darf hier auf keinen Fall fehlen? … NATÜRLICH: Ein Hut. Der Pfauenfederhut auf unserem Cover ist das 
Gesellenstück eines Auszubildenden, der hier die Lehre zum Hutmacher absolviert hat. Doch welcher Hut steht uns denn am besten? Frau Helsper sucht mit geschärften Blick aus ihren mehr 2.500 Hüten die passenden für unsere beiden Models: Studentin Antonia-Sophie ist sofort sehr begeistert von einem Exemplar: Wenn sie mal heiraten sollte, will sie genau diesen Hut tragen. Fotograf Tom wird auch fündig: ein Filzhut zum Wandern, der Feuchtigkeit aufnehmen kann und bei Regen trotzdem dicht ist; …

Fiedler´s green

Alle wollen Grün. Alle wollen weniger CO2, Feinstaub und Stickoxide in der Luft. Alle wollen weniger Glyphosat im Essen und weniger Nitrat im Trinkwasser. Alle wollen Eier ohne Dioxin und Fipronil. Alle wollen Fleisch ohne (Reserve-)Antibiotika, eine Ozonschicht ohne Loch, ein Klima ohne Wandel. Aber mal ehrlich: Wer ist auch bereit, dafür etwas zu tun?   Das Fenster meines Büros zeigt direkt auf den vierspurigen Röntgenring. Allmorgendlich zwischen 7:30 und 8:30 Uhr sowie nachmittags ab 16 Uhr schaue ich Würzburg beim Verkehrsinfarkt zu. Obwohl direkt daneben ein Radweg verläuft, würde ich schätzen, dass auf einen Radfahrer etwa 100 Autofahrer kommen. Ich wohne und arbeite auch in Würzburg und habe bereits im Studium das Fahrrad für mich entdeckt. Zu Beginn nahm ich aus Geldmangel den Bus, später dann das Auto – doch beide Transportmöglichkeiten sind mir ziemlich schnell zuwider geworden. Busfahren ist prinzipiell eine feine Sache, gestört hat mich nur der Geruch im Sommer und die großzügige Verteilung von Viren im Winter. Ganz ehrlich: Ich bin im Winter dreimal Bus gefahren und war eine Woche mit …

Liebste Nachbarn

Ein Vorwort … wovor denn? Und warum aus- gerechnet davor? Alles zusammenfassen, in einen kurzen Text? So viele Buchstaben, Bilder und Eindrücke? Nein: leider schwierig bis unmöglich. Darum schreiben wir lieber etwas anderes: übers Erwachsenwerden und Jungbleiben? Die Neon ist Geschichte. Warum also immer noch Printmagazine? Warum sich noch quälen mit Papier? Mit Gestalten, Drucken und Verteilen von 5.000 Magazinen in der Stadt? Ganz einfach: Weil es etwas anderes ist. Genauso, wie es etwas anders ist, durch Deutschland mit dem Auto auf der Autobahn zu heizen oder ein halbes Jahr querfeldein zu Fuß zu laufen, wie es Manoel Eisenbacher bei seiner Wander-Uni getan hat. Dieses Gefühl versucht Anna-Lucia in ihrem Portrait über Manoels Reisen für Euch einzufangen. Warum etwas anders machen? Warum nicht den bequemen Weg gehen? Die Regie-Legende Werner Herzog gab uns bei einer Diskussion im Mainfrankentheater kürzlich den Rat: „Lauft erst einmal 100 Kilometer zu Fuß exakt in eine Himmelsrichtung, egal was kommt. Das bringt Euch weiter als jede Brücke und jedes Studium. Einfach mal machen.“ Die Sängerin Lina Maly meint: „Ich mag …

Heute hier, morgen fort

Einfach mal ein halbes Jahr mit der Wanderuni durchs Land ziehen Ich muss mal raus … einfach mal an die frische Luft, dem Trott entflieh’n … ’nen klaren Kopf bekommen und niemanden sehn’: Alles Sätze, die Manoel Eisenbacher so definitiv nie gesagt hat. Als der heute 28-Jährige 2016 das erste Mal von der Wanderuni hörte, verspürte er vielmehr latente Beklemmung als den nach Freiheit dürstenden Impuls der Stadtflucht. Im Gegenteil: Die Idee, ein knappes halbes Jahr in deutschen Landen unterwegs zu sein, ohne einen festen Tagesablauf geschweige denn einen festen Schlafplatz, hätte dem gelernten Winzer und Fotografen nicht mehr Unwohlsein bereiten können, wie er uns erzählt. „Tatsächlich bin ich eher ein strukturierter Typ und brauche immer eine gewisse Vorhersehbarkeit, um mich safe zu fühlen.“ Rückblickend lässt sich daher nicht mehr sagen, welcher Teufel Manoel geritten haben muss, zwei Jahre später seine Komfortzone im beschaulichen Würzburg zu verlassen … Neugierde könnte es gewesen sein, die ihn zum ersten Infotreffen der Wanderuni im November 2017 trieb, oder – und das ist wahrscheinlicher – die ansteckende Begeisterung einer …

Vierundfünfzig mal Nullkommaeins

„Thomas hat Dich zur Gruppe ‚Lass mal wieder was machen‘ hinzugefügt“. Oh, wie schön. Also nur noch siebeneinhalb Monate und 25³ Nachrichten, bis THOMAS, Lisa 1, Lisa 2, Christian, Verena, Claus-Stephan, Nico, Yen und Daniel auf einen gemeinsamen Nenner kommen, was eine für alle erträgliche Abendunterhaltung sein könnte. Verena möchte uns endlich den wahnsinnig fesselnden Film dieses finnischen Skandalregisseurs zeigen … bei dem wir uns dann aber nicht unterhalten dürfen, weil wir sonst die implizite Botschaft verpassen (schreibt Lisa1). Film ist also raus. Dann vielleicht doch Brettspiele, schlagen Nico und Lisa2 vor … sie könnten uns das 75-seitige Regelwerk des preisgekrönten Strategiespiels auch gleich per WhatsApp durchschicken. In solchen Momenten merkt man wieder, was wir an der Demokratie doch haben. 2:7! „Dann lasst uns doch was kochen.“ Gute Idee. Nicht. Schließlich ist das lakto- und fructosefreie, nachhaltig-saisonale, vegan-biofleischhaltige (außer Schwein), paläo-glutenreduzierte Gericht immer noch nicht erfunden. Claus-Stephan, der sich bis hierhin rausgehalten hat, kommentiert lakonisch, er halte das nicht mehr aus und werde sich nun betrinken. Gute Idee, Claus-Stephan – dann aber bitte mit uns …

Olympisch Spielen 2019

Die Zeitmaschine von  Kulturateur Felix Röhr hebt wieder ab ins unsere Nachbarschaft: Seit Januar 2019 reisen Kinder und Familien nun auch in der neu eröffneten Gemäldegalerie des Martin-von-Wagner-Museums in die Vergangenheit. Unter dem Titel „Kinder-Olymp“ bietet Felix schon im fünften Jahr seine erfolgreichen Kinder-Erlebnis-Nachmittage in der Antikensammlung des Museums an. Nun können neuerdings auch Familien an den Vormittagen die faszinierende Welt der Gemäldegalerie entdecken, die erst im Herbst 2018 wiedereröffnet wurde. Immer an einem Samstag des Monats erleben Kinder und Familien beim „Familien-Olymp“ tolle Abenteuer, entdecken ferne Länder und lernen Wissenswertes zu Kultur, Kunst und Wissenschaft. Damit es von Anfang bis Ende spannend bleibt, packt Felix seinen Kulturkoffer voller Spiele, Rätsel und Dinge zum Gestalten für die ganze Familie. Inhaltlich dreht sich in diesem Jahr beim „Familien-Olymp“ in der Gemäldegalerie alles um das Thema „Kindheit damals und heute“: Die Reisen führen von der faszinierenden Welt des Mittelalters bis in die Neuzeit, also zum Beispiel in die Epoche der prächtigen Schlösser und Entdecker oder die Zeit der Avantgarde. Neben dem neuen Familien-Olymp wird 2019 natürlich auch der …

Auf Augenhöhe- Müdigkeit. Erschöpfung. Depression.

Willkommen im neuen Jahr. Was sich zwischen den Jahren andeutete, wird jetzt Wirklichkeit. Das neue Jahr startet nicht nur verkatert und grau, sondern auch ohne Gnade. Perspektivlos, trotz all der Vorsätze – und hoffnungslos, trotz all des Neubeginns. Von Sydney bis New York, von Plauen bis Aachen. Gewollt oder nicht, jeder fängt neu an und man selbst steckt mittendrin. Dem Jahresbeginn entzieht sich niemand, und so beginnt das neue Jahr, wie das alte aufgehört hat, es stirbt. Im Gegensatz zum Menschenleben ist das Jahresleben klar strukturiert, designierter Start und designiertes Ende. Das Jahr hat keine falsche Hoffnung, aber auch keine falsche Angst. Es liegt 365 Tage im Sterben und selten spürt man das so intensiv wie am Jahresbeginn. Die Festtage sind abgehandelt, die alten Freunde wurden gesehen und der alten Feinde wurde gedacht. Dopamine sind verbraucht, Adrenaline nicht wieder aufgefüllt. Man nüchtert aus. Der Blick wird endlich scharf und die Welt wird grau. Ohne Luftschlangen und Glühweinnasen verliert das Leben seine Weichzeichner. Wenn die bunten Lichterketten erloschen sind, die bunteren Feuerwerke abgebrannt und der Rauch …

Drohendes Dieselfahrverbot in Würzburg

Widerruf von Fahrzeug-Finanzierungsverträgen als Ausweg (Widerrufsjoker) Nachdem die Deutsche Umwelthilfe nun auch Klage betreffend Würzburg eingereicht hat, droht auch in Würzburg ein Dieselfahrverbot. Sollte die Klage erfolgreich sein und Fahrverbote umgesetzt werden, stehen Dieselfahrer vor einem großen (finanziellen) Problem. Sie sind privat und im Beruf auf ihr Fahrzeug angewiesen und müssten sich daher ein Ersatzfahrzeug anschaffen bzw. ihren Diesel loswerden. Letzteren auf dem freien Markt zu verkaufen stellt allerdings keine akzeptable Alternative dar, da dies aktuell nur noch mit einem hohen Wertverlust möglich ist. Falls der Diesel jedoch finanziert wurde, gibt es einen Ausweg. Viele Banken haben Kreditnehmer nicht korrekt über das Widerrufsrecht informiert – also entweder eine falsche Widerrufsbelehrung oder nicht alle notwenigen Pflichtangaben erteilt. In der Folge beginnt die eigentlich nur zweiwöchige Frist für den Widerruf nicht zu laufen. Kreditnehmer können auch vor Jahren abgeschlossene Verträge noch widerrufen, das finanzierte Fahrzeug zurückgeben und erhalten ihr Geld zurück. Eine Chance für Besitzer von Dieselfahrzeugen. Voraussetzung für den Widerruf ist, dass der Finanzierungsvertrag ab dem 11.06.2010 abgeschlossen wurde, der Autokäufer diesen als Verbraucher (Privatperson) abgeschlossen …

Ich packe meinen Rucksack für 25 Jahre

Über das Gespräch mit einem obdachlosen Menschen – und unseren Zeitgeist   In der Hektik der heutigen Zeit zieht vieles an uns vorbei. Wir haben verlernt, Werte zu schätzen. Wir werden oberflächlicher, sehen vieles als selbstverständlich. Wir wollen immer mehr. Erfolgreich sein. Das Bestmögliche erreichen. Denn das, was wir besitzen, und das, was wir sind, reicht noch nicht aus. Wir machen uns Sorgen, das Beste nie erreichen zu können. Etwas zu verpassen. Dem Standard der Masse nicht standhalten zu können. Für jeden von uns ist es selbstverständlich, nach der Schule oder der Arbeit nach Hause zu fahren, sich auf zu Hause zu freuen. Es ist selbstverständlich, noch einen kurzen Abstecher in den Supermarkt zu machen, wenn der Kühlschrank leer ist. Es ist selbstverständlich, sich nach einer warmen Dusche in sein eigenes Bett legen zu können. Manchen Menschen sind jedoch all diese Selbstverständlichkeiten abhanden- gekommen. Menschen, die von uns oft ignoriert und herabgestuft werden, weil sie nicht mehr mit den gleichen Standards leben können, wie wir. Ich selbst bin an diesen obdachlosen Menschen mit schnellen Schritten …

Brief in die Zukunft

Lieber Prof. Dr. B.A. M.A. LMAA. Anakin Talbott-Muriel, wenn Sie diesen Brief lesen, bin ich schon mindestens 2.000 Jahre tot. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um mich vorab bei Ihnen in aller gebührenden Form zu entschuldigen. Denn als Archäologie-Koryphäe im Jahr 4019 haben Sie wahrlich nichts zu lachen. Während Generationen von Altertumsforschern vor Ihnen das große Glück genossen, eindrucksvolle Bauwerke, meisterhafte Kultstätten, wunderschöne Kunstgegenstände und ab und zu wenigstens einen römischen Puff oder spätmittelalterlichen Donnerbalken ausgraben zu dürfen, hat meine Generation Ihnen und Ihren Forscher-Kollegen doch ein äußerst zweifelhaftes Erbe hinterlassen. Wie unfassbar dröge muss es für Sie sein, sich in wochen- und monatelanger Arbeit durch Erde, Staub und natürlich jede Menge Plastik zu graben, um schließlich auf die kümmerlichen Überreste eines 40.000 Quadratmeter großen real-Supermarktes in Ostwestfalen-Lippe zu stoßen! Welche wissenschaftlichen Schlüsse Sie dabei aus dem Nebeneinander von Stereoanlagen, Dosen-Streichwurst und Duft-Weichspüler ziehen mögen – ich mag gar nicht daran denken. Kaum mehr Freude werden Sie bei der archäologischen Erschließung diverser nahe Würzburg gelegener Neubaugebiete haben. Lassen Sie sich von den Dachformen vieler …